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Feuer und Glas - Der Pakt

Feuer und Glas - Der Pakt

Titel: Feuer und Glas - Der Pakt
Autoren: Brigitte Riebe
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geschneidert, aber er trug sie mit Grazie und Eleganz.
    Ein Prinz, schoss es ihr unwillkürlich durch den Kopf – aber in der Stadt des Löwen gab es, wie jedes Kind wusste, keine Prinzen. Und doch ging etwas von ihm aus, das sie auf rätselhafte Weise anzog, eine Aura von Vornehmheit, Stärke und Mut.
    Hatte sie ihn zu lange neugierig angestarrt?
    Als hätte er ihren Blick gespürt, schaute der Unbekannte nun zu ihr. Seine Augen waren von einem leuchtenden Blaugrün. Es war die Farbe der Lagune, so einmalig, dass Milla deren unverwechselbare Gerüche plötzlich wieder in der Nase hatte, ganz so, als lebten sie noch alle zusammen friedlich in dem roten Haus auf Murano. Wie viel angenehmer war es dort gewesen als in der winzigen, feuchten Wohnung hier, in der man schon wach wurde, wenn nebenan jemand nur zu husten begann.
    Ihr Vater hatte sie ab und zu in seinem alten Boot mit hinaus genommen, sobald seine Arbeit am Ofen beendet war.
    »Das Meer ist unsere Mutter«, hatte Leandro bei dem kurzen Ausflug gesagt, der ihr letzter werden sollte – doch das hatte sie damals noch nicht ahnen können. »Unser aller Mutter. Das sollten wir niemals vergessen, selbst wenn manche von uns glauben, die Flügel des Löwen seien aus Eisen und deshalb stark genug, um die Lagune für immer zu beschützen. Doch sie irren sich, Milla, und wenn sie nicht rechtzeitig zur Besinnung kommen, werden wir alle teuer dafür bezahlen.«
    Lange hatte Milla nicht mehr an diese Worte gedacht, doch mit einem Mal waren sie ihr wieder ganz gegenwärtig. War der Fremde in der blauen Gondel ein Zauberer, der ihr Herz berühren und damit vergessen geglaubte Erinnerungen lebendig machen konnte?
    Jetzt flossen ihr tatsächlich ein paar heiße Tränen über die Wangen, doch sie wischte sie schnell weg; schließlich wollte sie nicht kindisch wirken. Doch die blaue Gondel war längst an ihr vorbeigeglitten. Und wenn sie nicht zu den Allerletzten an der Mole von San Marco zählen wollte, musste auch sie sich jetzt beeilen.
    Je näher sie der Piazza kam, desto enger wurde es in den Gassen. Die halbe Stadt schien auf den Beinen – eigentlich kein Wunder, wenn man bedachte, dass die muda di Romania , die zweimal pro Jahr nach Konstantinopel segelte, nahezu drei Wochen Verspätung hatte. Schlimmste Vermutungen hatten bereits die Runde gemacht, über Piraten, Seebeben und heimtückische Überfälle feindlicher Mächte war spekuliert worden – aber nun waren die fünf großen Galeeren, im Spätherbst ausgelaufen, endlich wieder heil zurück.
    Und mit ihnen ihr Vater?
    Ein dicker Kloß steckte auf einmal in Millas Hals und saß darin fest. Aufgeregt war sie an jenen besonderen Tagen stets gewesen, doch bislang hatte immer die Mutter sie begleitet, um nach anfänglichem Schimpfen und Streiten schließlich doch ihre schweißnasse Hand zu drücken und beruhigende Worte zu murmeln, wenn selbst nach stundenlangem Warten nirgendwo ein Feuerkopf auftauchen wollte, der mit breitem Lachen auf sie beide zustrebte.
    Ob es heute anders sein würde?
    Ysa hatte versprochen zu kommen, allerdings war sie bislang nirgendwo zu sehen. Eine seltsame Mischung aus Ausgelassenheit und Ungeduld lag in der Luft, die Millas Anspannung noch verstärkte. Inzwischen war an ein Durchkommen kaum noch zu denken, so dicht ballten sich die Menschen. Vor allem vorne, an der Mole, kam es bereits zu kleineren Rempeleien, weil keiner dem anderen freiwillig Platz machen wollte.
    Milla ließ sich zurückfallen, um Schutz am Fuß einer der zwei großen Säulen zu suchen, die die Piazzetta schmückten. Der Platz unter dem geflügelten Löwen war von einer Gruppe johlender Jugendlicher besetzt, was sie ärgerte, denn nirgendwo sonst fühlte sie sich sicherer. Als die jungen Männer dann auch noch anzügliche Zeichen in ihre Richtung machten, übersah sie diese zwar geflissentlich, nahm dann aber doch mit dem Fuß der anderen Säule vorlieb.
    Als sie sich an den kühlen Stein lehnte, überfiel sie ein merkwürdiges Kribbeln. Sie lugte hinauf zu der Statue, die San Teodoro verkörperte, den uralten Schutzheiligen der Stadt, wie ihr Vater erzählt hatte, aufrecht auf einem Krokodil stehend. Ihr fiel ein, dass sie eigentlich kaum etwas über ihn wusste, während sie über den geflügelten Löwen nebendran von Kindheit an unzählige Geschichten gehört hatte, an die sie sich noch ganz klar erinnerte.
    Doch jetzt zog sie das Geschehen an der Mole ganz in seinen Bann. Als Erstes würden die Passagiere aussteigen,
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