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Fesseln der Sehnsucht

Fesseln der Sehnsucht

Titel: Fesseln der Sehnsucht
Autoren: Lisa Kleypas
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Eisdecke fest, legte die Wange darauf und weinte haltlos. Sie war zu entkräftet und unterkühlt, um weiter zu kämpfen, wollte aber auch nicht loslassen.
    Lucy schloss die Augen und grub die Finger in das blanke Eis. Niemand wusste, dass sie hier war. Ihr Vater wähnte sie in Connecticut bei Tante Elizabeth und Onkel Josiah … und Daniel wusste auch nichts von ihrer verfrühten Rückkehr wegen ihrer letzten Auseinandersetzung … Sie hatte den Streit heraufbeschworen. Es tut mir so Leid, dachte sie, ohne die Tränen zu spüren, die ihr über die Wangen liefen. Immer bin ich es, die Streit sucht… Daniel…
    Die Kälte wurde zum beißenden Brennen. Lucy trieb reglos im Wasser, ihre Angst und ihr Kampfgeist wichen einer betäubenden Schwere. Der Fluss begann auf sie einzureden, bis nichts mehr ihren Verstand erreichte als sein leises gurgelndes Wispern – eindringlich und einschläfernd zugleich.
    An dieser Stelle war vor vielen Jahren schon einmal ein junges Mädchen ertrunken. Hatte der Fluss sie auch so sanft, so einschmeichelnd zu sich genommen? War der Tod auch ihr wie ein Traum erschienen?
    Lass alles hinter dir, beschwor sie die Dunkelheit.
    Sonnenschein, Frühling, Daniel … Liebe … alles nur ein Traum … ein Nichts.
    Plötzlich wurde sie gewaltsam am Handgelenk gepackt; der Schmerz durchdrang ihre Betäubung. Sie wollte sich dagegen wehren, ihre Lider flogen auf. Durch die nassen Haarsträhnen, die ihr ins Gesicht hingen, sah sie einen Mann flach auf dem Bauch vor ihr auf dem Eis liegen. Seine unnatürlich blauen Augen fixierten ihr maskenhaft bleiches Gesicht, sein Griff festigte sich und er begann, sie aus dem Fluss zu ziehen. Lucys Lippen formten ein Wort, doch aus ihrem Mund kam nur ein röchelndes Stöhnen.
    Er schien etwas zu ihr zu sagen, doch sie hörte nur unverständliche Laute. Er zerrte fester an ihrem Arm, dann versank sie in tiefe Dunkelheit.
    Sie wurde durch den Wald getragen. Ihr Kopf ruhte an einer wollenen Schulter. Ihre Stirn schmiegte sich vertraulich in die Halsbeuge eines Mannes. Ihre Beine baumelten leblos und schlugen bei jedem Schritt gegen den Schenkel des Fremden. Der Mann trug sie durch das Schneetreiben mit dem schweren Schritt eines zuverlässigen Ackergauls. Er spürte, dass sie das Bewusstsein erlangt hatte, und begann, mit deutlichem Südstaatenakzent leise zu reden.
    »Ich wollte mir Brennholz im Wald holen, als ich Sie hörte. Was in aller Welt hat Sie nur dazu getrieben, den Fluss zu Fuß zu überqueren, Süße? Haben Sie denn nicht gesehen, dass er nicht wirklich zugefroren ist?«
    Den Mund zu öffnen war ebenso mühsam wie verrostete Scharniere zu bewegen. Lucy versuchte etwas zu sagen, doch sie brachte nur ein Krächzen hervor. Ihr war zu kalt, um zu reden, zu kalt, um zu denken.
    »Keine Sorge. Bald haben Sie es überstanden«, sagte er im Plauderton. In ihrem jämmerlichen Zustand erschien ihr seine Stimme höchst gefühllos. Die schweren nassen Kleider begannen an ihr festzufrieren, ihre Knochen schmerzten. Seit sie denken konnte, waren all ihre Wehwehchen, Schürfungen und Schnittwunden liebevoll und trostreich versorgt worden. Nie zuvor hatte sie solche Schmerzen ausgestanden, gnadenlos verzehrend, eine Folter.
    Sie durchlitt unsagbare Qualen, Qualen, die sie nicht zu ertragen bereit war. Sie begann leise zu wimmern und Heath hob sie höher, bis ihr Kopf bequemer an seiner Schulter lag. Seine Lippen waren nah an ihrem Ohr, als er raunte: »So ein kaltes, kleines Ohr. Hören Sie, Süße. Es dauert nicht mehr lange, dann geht es Ihnen wieder besser.
    Ich bringe Sie in eine schöne warme Stube mit einem großen Feuer. Wir sind bald da. Hören Sie auf zu weinen.
    Nur noch ein paar Minuten und dann tauen wir Sie wieder auf.«
    Er redete auf sie ein wie auf ein Kind und obwohl er empörend herablassend klang, fühlte sie sich von seiner sanften Stimme getröstet. Er behauptete zwar, bald da zu sein, doch es schien eine Ewigkeit zu dauern, ehe sie ein kleines Haus erreichten, dessen Fenster erleuchtet waren. Als ihr bewusst wurde, dass sie vom Hals abwärts nichts spürte, geriet Lucy in Panik. Wilde Ängste jagten ihr durch den Kopf. War sie gelähmt? Waren ihre Finger und Zehen erfroren? Vor Angst wagte sie nicht zu sprechen, als der Fremde sie ins Haus trug. Nachdem er die Tür mit dem Stiefelabsatz zugestoßen und das Schneetreiben ausgesperrt hatte, ließ er sie behutsam auf ein Sofa nieder, ohne darauf zu achten, dass ihre durchnässten Kleider
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