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Fesseln der Sehnsucht

Fesseln der Sehnsucht

Titel: Fesseln der Sehnsucht
Autoren: Lisa Kleypas
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aus, als hätten Sie bei unserer Küche Not gelitten – obwohl bei uns nicht oft Pfirsichmus oder Brathähnchen auf den Tisch kommt …«
    »Brathähnchen«, meinte er verträumt. »Saftiger Räucherschinken. Schwarze Bohnen mit Speck … Süßkartoffeln mit zerlassener Butter …«
    Lucy musste lächeln. Der Mann hatte einen natürlichen Charme, dem man nur schwer widerstehen konnte. Sie hätte ihm gern eine deftige Mahlzeit vorgesetzt: gepökeltes Rindfleisch und Weißkohl, frisches Schwarzbrot und zum Nachtisch Apfelkuchen, nur um ihm zu beweisen, dass die Nordstaatenküche sich mit der im Süden sehr wohl messen konnte.
    »Wieso sind Sie nach Concord gezogen?«, fragte sie und das Blitzen seiner blauen Augen war mit einem Mal erloschen. »Es erscheint mir nicht sonderlich sinnvoll. Der Krieg ist vorbei und die Reconstruction …«
    »Die Reconstruction. Ihr im Norden habt keine Ahnung, was sie bedeutet.«
    »Natürlich weiß ich, was sie bedeutet.
    Sie soll dem Süden helfen, wieder auf die Beine zu kommen …«
    »Und unsere Wirtschaft auf tönerne Füße stellen. Ich begreife nicht, wieso ihr von uns Dankbarkeit erwartet, wenn der Norden unsere Zeitungen übernimmt, uns das Wahlrecht vorenthält und uns jede Mitsprache verweigert …«
    »Es dauert eine gewisse Zeit, bis der Süden sich von den Kriegsschäden erholt hat«, entgegnete Lucy würdevoll.
    »Doch irgendwann …«
    »Irgendwann? Nie.«
    »Wieso sagen Sie das? Natürlich erholt der Süden sich wieder.« Er sah sie mit beunruhigender Eindringlichkeit an und zitierte leise: »›… Wie hast du dich verändert, dein lächelndes Sommerantlitz ist verblasst. Die unbeschwerten Zeiten sind dahin … Soldaten haben dir nur deine Vergangenheit und deine Einsamkeit gelassen.‹«
    Lucy hörte ihm gebannt zu, der Singsang seiner melodischen Stimme wirkte beinahe hypnotisch. »Ich … ich verstehe nicht …«
    »Nein, wie sollten Sie auch?« Er erhob sich und warf ihr ein flüchtiges Lächeln zu. »Der Text wurde von einem desillusionierten Kriegsberichterstatter verfasst … einem Südstaatler. Sind sie hungrig?«
    »Ja. Ich möchte gerne, dass Sie mir erklären …«
    »Ich bringe ganz passable Sauermilchbrötchen zustande.«
    »Warum sind Sie …«
    »Und Kaffee.«
    »Na gut! Ich stelle keine Fragen mehr.«
    »Obwohl Sie das für Ihr Leben gern tun, wie?«
    »Also … eine Bitte habe ich noch.«
    »Ja? Was?«
    Lucy senkte verlegen den Blick auf die Steppdecke, das Gesicht von tiefer Röte überzogen. Es dauerte einige Sekunden, ehe sie die Frage stellen konnte. »Ich … muss … Gibt es eine Toilette im Haus oder …«
    »Aber natürlich. Ich habe nur keinen Morgenmantel »Nein, das macht mir nichts aus … Vielen Dank.«
    Gottlob nahm er keine Notiz von ihrer Verlegenheit gab sich sachlich. Vielleicht war sein Verhalten auch darauf zurückzuführen, dass er in den Entbehrungen eines fünf Jahre währenden Krieges vergessen, dass die Bedürfnisse des menschlichen Körper meisten Leute in tiefe Verlegenheit stürzten.
    Während Lucy ihm zusah, wie er an die Wäschekommode trat, errötete sie noch tiefer, als sie bemerkte, dass sie unter der Bettdecke nur ihr Unterhemd und die spitzbesetzten Pluderhosen trug. Er musste sie ihr gestern Abend wieder angezogen haben, nachdem sie getrocknet waren. Er war der einzige Mann, der sie je nackt gesehen hatte, abgesehen von Dr. Miller, der sie Vor zwanzig Jahren in die Welt gebracht hatte. Wilde Gedanken schwirrten ihr durch den Kopf, Gedanken, die sie schleunigst zu verdrängen suchte, was ihr nicht leicht fiel. Was mag dieser Mr. Rayne sich bei ihrem Anblick wohl gedacht haben? Sie entsprach nicht dem Schönheitsideal einer Frau, war dunkelhaarig und zierlich, hatte eine schnelle Zunge und Füße, die nicht stillhalten wollten. Mit sechzehn war sie zur Frau erblüht und die Natur hatte sie mit üppigen Formen ausgestattet. Lucy hatte sich oft seufzend danach gesehnt, hoch gewachsen, schlank und zierlich zu sein. Doch da man ihr immer wieder versicherte, wie hübsch sie sei, gab sie sich mit ihrem Aussehen zufrieden. Wie dachte Heath Rayne wohl über sie?
    Heath legte ein weißes Hemd und dicke Wollsocken auf die Bettdecke und wandte ihr den Rücken zu. Da er nicht die Absicht zu haben schien, das Zimmer zu verlassen, schlüpfte Lucy mit großer Hast in die Ärmel des Hemds, dem der gleiche Duft entströmte, den sie an ihm wahrgenommen hatte – frisch und sauber, ein Hauch von frisch gemähter
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