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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte
Autoren: Gaetano Cappelli
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umzusetzen - selbst die Großmutter muss das zugeben -, aber wie soll das gehen in einem so gottverlassenen Nest wie jenem, in dem er geboren wurde? So lässt er sich eines schönen Tages von seinem Bruder begleiten, um sich nach Amerika einzuschiffen - und an jenem Tag verirrt sich Großvater Carlo nicht.
    Nach Riccardos Abreise ist Nonnilde an der Reihe. Sie muss seinen Platz einnehmen, und dies zu einer Zeit, da ein Großteil der Frauen nicht im Traum ans Arbeiten denkt, geschweige denn daran, einen Betrieb zu führen, noch dazu in einem Kaff im Süden. Sie dagegen ist niemals zufriedener gewesen. Bis dahin hatte sie sich damit begnügen müssen, ihren Mann, ihre Sprösslinge und ihre Bediensteten zu tyrannisieren, aber jetzt eröffnen sich ihr, dank der Abwesenheit ihres Schwagers, neue Horizonte: An einer ganzen Schar von Bauern, Halbpächtern und Arbeitern kann sie nun ihre Machtgier austoben.
    Von Riccardo verliert sich bald jede Spur. Wer sich dankbar seiner erinnert, ist Großvater Carlo, der zwar einen Bruder verloren, sich dafür aber von seiner Frau befreit hat. Schon deutlich trauriger gestimmt sind die Lohnempfänger der Firma, zumindest jene wenigen, die sich mit den Schikanen Nonnildes abgefunden haben
und nicht ebenfalls in irgendeinen fernen Winkel der Erde ausgewandert sind.
    Dann mögen wohl sechs oder sieben Jahre ins Land gegangen sein, und aus Amerika treffen diese großen Pakete ein, voller Kleider, Konserven, Schallplatten, kleiner Gläser mit einer unbekannten Substanz - Erdnussbutter - und gewaltiger Mengen Schokolade - in Gestalt von Pulver, Tafeln und Sirup. Kurz zuvor ist der Krieg zu Ende gegangen und Großvater Carlo dem Typhusfieber erlegen. Die Firma Olii Superfini steht kurz vor der Pleite, und Nonnilde sieht sich von einer Schar kleiner Kinder umgeben, deren Mäuler sie stopfen muss. Um das zu bewerkstelligen, hat sie einen Teil des Mobiliars verkauft - den anderen hat sie zu Brennholz zerhacken lassen, denn nie hat es längere und kältere Winter gegeben -, außerdem hegt sie eine echte Leidenschaft für Schokolade. Sie muss ihrem Schwager also wieder dankbar sein. Der hat sich in der Zwischenzeit nicht nur einen hervorragenden Namen in der amerikanischen Finanzwelt gemacht, Kathryn Hudds aus der Familie der berühmten Glasindustriellen geheiratet und den kleinen William in die Welt gesetzt, sondern sich auch einiger Buchstaben entledigt, und so signiert er die liebevollen Briefe, die er den Paketen beilegt und die Nonnilde so liebevoll, wie es ihr möglich ist, beantwortet, nun mit Richard . Tatsächlich sollte noch einige Zeit vergehen, bis ihre Beziehung vollends in die Brüche ging, und zwar für immer.
    Wenn eine Frau ein Dutzend Kinder zur Welt bringt, vier noch als Wickelkinder verliert, zwei weitere an die Kirche abtreten muss und wenn es sich bei dieser Frau um die Witwe eines unbekümmerten Genussmenschen handelt, eine Frau zudem mit einer angeborenen Neigung zum Kommandieren, die sie noch zu Lebzeiten ihres Mannes veranlasst hat, sich den Familienbetrieb aufzuhalsen, dann ist es nur natürlich, dass diese Frau unter dem Rest ihres Wurfes denjenigen auswählt, der sich am besten eignet, ihre Mission fortzusetzen, und diesen Jemand findet sie zweifellos in Enrico, meinem Vater.

    Enrico ist das einzige ihrer Kinder, das keine Probleme mit dem Lernen hat. Er verbringt einen großen Teil seiner Jugend in Neapel, wo er sein Landwirtschaftsstudium in Rekordzeit abschließt. Das Angebot, an der Universität zu bleiben, lehnt er ab - wie freiwillig, ist unbekannt - und beginnt stattdessen in der Firma zu arbeiten, wo er sofort seine große, von der Mutter und vielleicht auch vom amerikanischen Onkel ererbte Entschlusskraft sowie seine erstaunliche fachliche Kompetenz unter Beweis stellt. Es sind verheißungsvolle Jahre. Der Betrieb erreicht wieder die alte Produktivität, ja, übertrifft sie sogar, und die Großmutter kauft einen Großteil ihrer Möbel zurück. Leider hat der junge Mann aber auch das Blut seines Vaters in den Adern und von diesem, außer der Eleganz der Erscheinung, auch die Leidenschaft für die Frauen geerbt. Das müsste an sich noch kein Nachteil sein, wenn nicht Enrico, sobald er in den Zustand der Verliebtheit eintritt - und das passiert ziemlich häufig -, seine Arbeit vollkommen vergessen würde.
    Die späte und umso schmerzlichere Entdeckung dieser erblichen Belastung stürzt Nonnilde in düstere Trostlosigkeit. Ihr bleibt nur eine Möglichkeit: die
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