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Ferne Tochter

Ferne Tochter

Titel: Ferne Tochter
Autoren: Renate Ahrens
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IN DIE HAMBURGER MORGENPOST UND INS HAMBURGER ABENDBLATT SETZEN
    TRAUERSPRUCH:
UND OB ICH SCHON WANDERTE IM FINSTEREN TAL, FÜRCHTE ICH KEIN UNGLÜCK; DENN DU BIST BEI MIR, DEIN STECKEN UND STAB TRÖSTEN MICH. (PSALM 23,4)
    MUSIKWUNSCH:
JESUS MEINE ZUVERSICHT, CHORAL VON JOHANN SEBASTIAN BACH (PFARRER BÖHME WIRD DIE WEITERE LIEDAUSWAHL TREFFEN)
    Mutter hat nichts dem Zufall oder mir überlassen. Nur den Text für die Todesanzeige hat sie nicht aufgesetzt, wollte ihrer hinterbliebenen Tochter nicht die Gefühle diktieren.
     
    Ein weiterer Zettel richtet sich an Tessa:
     
    LIEBE TESSA ,
    ICH BITTE DICH UM VERZEIHUNG DAFÜR , DASS ICH DICH NICHT AUFZIEHEN KONNTE .
    RITA WOLF , DEINE GROSSMUTTER
    HAMBURG , DEN 8 .  NOVEMBER 2011
     
    Der 8 . November war ein Dienstag. Morgens habe ich Mutter angerufen und ihr von meinem Treffen mit Tessa auf dem Campo dei Fiori erzählt.
    Zuunterst finde ich:
     
    MEIN TESTAMENT
    MEINE TOCHTER , JUDITH VELOTTI , SOLL MEINE EINZIGE ERBIN SEIN .
    RITA WOLF
    HAMBURG , DEN 2 .  SEPTEMBER 2011
     
    Der Tag der
ZEUGNISMAPPE
.

[home]
    46.
    F rancesco fliegt über München. Seine Maschine landet um zwanzig nach neun.
    Ich stehe in der Ankunftshalle und gehe meine Liste durch. Das Doppelzimmer im Hotel ist reserviert. Den Bestattungsunternehmer treffe ich morgen früh um zehn, den Pfarrer um zwölf, mit dem Organisten habe ich am Telefon alles besprochen. Antonia Bremer habe ich auch erreicht. Sie hat geweint.
    Tessa habe ich bisher nicht angerufen. Soll ich ihr eine SMS schicken? Nein. Sie bekommt eine Anzeige. Das heißt, Harald Jansen bekommt eine. Ich weiß immer noch nicht, wo sie wohnt.
    Endlich sehe ich Francesco.
    »Mein Koffer kam fast als letzter«, erklärt er.
    Wir umarmen uns. Ich merke plötzlich, wie erschöpft ich bin.
     
    Nachts um vier werde ich wach, denke über die Todesanzeige nach, will nichts schreiben, was nicht wahr ist.
    Ich stehe auf, nehme einen Stift und ein Blatt Papier mit ins Badezimmer.
    Ein erfülltes Leben? Dankbarkeit? Liebe vielleicht, aber muss ich das öffentlich kundtun? Kaum jemand würde mir glauben. Werde ich um Mutter trauern? Sie vermissen? Das geht niemanden etwas an.
    Soll ich Francescos Namen mit aufführen? Er hat sie nicht gekannt.
    Und Tessa? Es wäre Hohn, ihren Namen zu erwähnen.
    Ich setze mich auf den Rand der Wanne und schreibe:
     
    Meine Mutter ist gestorben.
    RITA WOLF
    geb. Brüggemann
    * 30. 3. 1949 † 25. 11. 2011
    Judith Velotti
    Kondolenzanschrift
    Hinweis auf Ort und Datum der Beerdigung
     
    Ich bin erleichtert, dass sie ihren Trauerspruch selbst ausgewählt hat.
     
    Francesco und ich frühstücken im Café
Hopfen & Malz.
    »Tessa hast du Bescheid gesagt, oder?«
    Ich schüttele den Kopf.
    »Es war immerhin ihre Großmutter!«
    »Sie wird es von ihrem Vater erfahren. Ich glaube kaum, dass sie das Bedürfnis hat, zur Beerdigung zu kommen.«
    »Wenn du dich da mal nicht täuschst.«
     
    Ich habe mich getäuscht. Am Montagmorgen, als wir über den Friedhof laufen und die Grabstätte suchen, ruft Tessa mich an.
    »Papa hat mir gerade gesagt, dass deine Mutter am Freitag gestorben ist.«
    »Ja, sie hatte einen zweiten Schlaganfall.«
    »Und jetzt?« Tessa klingt auf einmal hilflos.
    »Am Donnerstag wird sie beerdigt.«
    Wir schweigen. Wie würde es mir gehen, wenn eine mir unbekannte Großmutter gestorben wäre? Noch dazu eine, die kein Interesse daran hatte, mich aufzuziehen? Wäre ich traurig, ihr nie begegnet zu sein? Oder hätte ihr Tod etwas Entlastendes? Wahrscheinlich würde ich gar nichts empfinden.
    »Bist du noch da?«, fragt Tessa.
    »Ja …«
    »Kann ich … irgendwas tun?«
    »Wie meinst du das?«
    »… Was helfen?«
    »… Für die Beerdigung habe ich eigentlich alles organisiert. Aber … vielleicht hast du Lust vorbeizukommen.«
    »Wohin?«
    Einen Moment lang weiß ich keine Antwort. Im Hotel-Café und in der Lobby kann man nicht ungestört reden, in unserem Zimmer ist es zu eng.
    »Am besten zum Haus meiner Mutter«, höre ich mich sagen. »Bussestraße 29  a, in Winterhude.«
    »Um wie viel Uhr?«
    »Heute Abend um sieben?«
    »Okay. Vielleicht bringe ich Fabian mit.«
    »Mach das. Wir werden etwas zu essen besorgen.«
    »Ach, dein Mann ist auch da … Habt ihr euch wieder versöhnt?«
    »Ja.«
    »Gut … Bis nachher.«
    Ich will noch sagen, dass ich mich freue, aber sie hat schon aufgelegt.
    »War das Tessa?«, fragt Francesco.
    Ich nicke und erzähle ihm von dem Gespräch, kann kaum glauben,
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