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Ferne Tochter

Ferne Tochter

Titel: Ferne Tochter
Autoren: Renate Ahrens
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Acht, halb neun?
    Ich gehe zurück in die Wohnung, mache mir einen Cappuccino und beschließe, statt der üblichen biscotti Müsli mit Joghurt, Blaubeeren und Walnüssen zu essen.
    Die Tür des Gästezimmers ist nur angelehnt. Ich öffne sie vorsichtig und trete ein. Francesco schläft. Er liegt auf der Seite, am Rande des Bettes, so als wolle er für jemanden Platz lassen. Zwischen den Augenbrauen hat er eine Falte, wie an jenem Morgen Ende August, als ich beschlossen habe, nach Hamburg zu fliegen.
    Ich verlasse das Zimmer, prüfe, ob ich eine SMS bekommen habe. Nein, nichts. Auf meiner Mailbox ist auch keine Nachricht.
    Um zehn vor acht halte ich es nicht länger aus. Ich wähle Tessas Handynummer, bin darauf gefasst, dass sie wieder nicht abnehmen wird.
    »Hallo?«
    »Hier ist Judith. Ich … wollte dich fragen, ob du noch in Rom bist und wir uns treffen können.«
    Ich höre ein kauendes Geräusch.
    »Tessa?«
    »Wir frühstücken gerade.«
    »Wo seid ihr?«
    »Auf einem Campingplatz an der Via Aurelia.«
    »Ah … ich könnte dort hinkommen.«
    »Nein, nein, wir packen hier gleich alles zusammen.«
    »Bitte fahrt nicht sofort nach Hamburg zurück. Nicht, bevor wir uns gesehen haben.«
    »Moment …«
    Ich höre gedämpfte Stimmen. Die beiden scheinen nicht einer Meinung zu sein.
    »Fabian meint, es reicht, wenn wir am späten Vormittag starten.«
    »Wir könnten uns in einem Café …«
    »Nein, ich habe eine bessere Idee«, unterbricht Tessa mich. »Auf dem Campo dei Fiori, an der Stelle, wo Giordano Bruno verbrannt wurde. Da steht eine Statue …«
    »Ich weiß. Du kennst dich ja schon gut aus.«
    »Das ist ein schöner Platz. Da haben wir bis Mitternacht gesessen.«
    »Wann kannst du dort sein?«
    Wieder berät sie sich mit Fabian.
    »Gegen Viertel nach neun.«
    »Ich freu mich …«
    »Bis dann.«
    Fast wäre ich Tessa gestern Abend auf dem Campo dei Fiori begegnet. Ich war höchstens zwanzig Meter von der Statue entfernt, als ich umgekehrt bin.
    Vielleicht ist es besser so.
    Ich behalte meine Jeans und die Turnschuhe an, ziehe meine Lederjacke über und schreibe einen Zettel für Francesco.
Treffe mich mit Tessa in der Stadt. Bis später, Gruß, J.
    Ich nehme den Bus um zwanzig nach acht. Es ist zu früh, aber ich kann nicht länger in der Wohnung warten.
    Wann war ich zuletzt an einem Sonntagmorgen auf dem Campo dei Fiori? Vor achtzehn, neunzehn Jahren, nach einer durchfeierten Nacht. Damals waren viele Häuser baufällig, heute sind sie fast alle restauriert und frisch gestrichen: creme, apricot, gelb, ocker, mit grünen Fensterläden oder Efeu, der bis in den zweiten Stock wächst. Wie groß der Platz ist, ohne die Marktstände und die Touristen.
    Ich gehe um die Statue von Giordano Bruno herum. Ob Tessa gestern zum ersten Mal auf einer italienischen Piazza gesessen hat?
    Ich darf ihr nicht zu viele Fragen stellen. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie auf eine Verabredung mit mir verzichtet und würde jetzt nach Hamburg aufbrechen. Fabian hat sie überredet.
    Vielleicht kommt sie mit ihm zusammen. Ich stelle mir vor, dass er älter ist als sie, ruhiger, gelassener. Ein guter Einfluss.
    Gleich neun. Ich kann kaum schlucken vor Aufregung.
    In einem Stehcafé an der Ecke bestelle ich mir einen Espresso und ein Glas Wasser, lasse die Statue nicht aus den Augen.
    Da ist sie. Allein.
    Ich zahle und gehe.
    »Hallo, Tessa.«
    Statt einer Begrüßung fährt sie sich durch die Haare, greift in die Tasche ihrer Lederjacke und überreicht mir ein Bündel Geldscheine.
    »Hier sind die vierhundert Euro zurück. Gib sie deinem Mann, ich will sie nicht.«
    Ich stecke das Geld ein. Sie hat mich geduzt.
    Sie setzt sich auf die Stufen unterhalb der Statue und dreht sich eine Zigarette.
    Ich setze mich neben sie, auch wenn mir die Steine zu kalt sind.
    »Damit wollte dein Mann mich wohl ein für allemal loswerden, was?«
    »Er meinte, dass es eine Kurzschlussreaktion war.«
    »Wieso?«
    »Er war nicht darauf vorbereitet, dass wir uns so ähnlich sehen …«
    »Das ist doch kein Grund.«
    »Wir haben fast fünf Wochen lang nicht miteinander geredet … seitdem ich ihm gesagt habe, dass es dich gibt.«
    Tessa zündet sich ihre Zigarette an. »Und warum hast du es ihm nicht vorher gesagt?«
    Ich erzähle ihr von meinem Entschluss, in Rom neu anzufangen, von Francesco und unserem Kinderwunsch, von dem Vertrauensbruch zwischen uns.
    »Es steht also zwischen euch auf der Kippe.«
    »Ja, aber ich bin nicht bereit,
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