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Ferne Tochter

Ferne Tochter

Titel: Ferne Tochter
Autoren: Renate Ahrens
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die bis Donnerstag mitnehmen?«
    »Gern.«
    Sie strahlt. Zum ersten Mal, seitdem ich sie kenne.

[home]
    47.
    A uch am Dienstag und Mittwoch scheint die Sonne. Francesco und ich holen die Sterbeurkunde beim Bestattungsunternehmer ab, legen sie zusammen mit Mutters Testament beim Amtsgericht vor, führen ein Gespräch mit ihrem Bankberater. Zwischendurch gehen wir an der Alster spazieren. Abends essen wir italienisch.
    Ich telefoniere mit dem Pfarrer, um ihm zu sagen, dass meine Tochter und eine Kollegin meiner Mutter auf der Trauerfeier sprechen möchten. Das sei in Ordnung, lautet seine Antwort.
    In Mutters Nachlass gibt es nicht viel, was ich behalten möchte. Ein paar Bücher, ein altes Fotoalbum und die Goldkette mit der kleinen Uhr.
    Ich schicke Tessa eine SMS , ob sie einen Wunsch für ein Andenken hat.
    Ja. Darf ich die Fotos meiner Großeltern haben? Gruß, T.
    Tanja Schmidt schenke ich Mutters Perlenkette. Sie umarmt mich vor Freude.
    Ich schlafe wieder besser. Auch wenn mich Tessas angekündigte Rede beschäftigt. Sie wird die für sie richtigen Worte finden. Sie werden mir weh tun, aber ich werde es überstehen.
     
    Am Donnerstag regnet es. Die Beerdigung soll um vierzehn Uhr beginnen. Wir sind viel zu früh da.
    Auf dem Parkplatz vor der Kapelle begegnet uns Harald Jansen. Er spricht mir sein Beileid aus. Ich danke ihm, stelle Francesco und ihn einander vor.
    »Tessa und Fabian sind schon drinnen.«
    Am Eingang begrüßt uns Pfarrer Hubert Böhme.
    »Ich bin mit Ihrer Tochter übereingekommen, dass sie nach der Kollegin Ihrer Mutter sprechen wird.«
    Wir betreten die Kapelle. Als Erstes sehe ich die Verkündigung, auf einer Staffelei hinter dem Sarg. Meine Fotos als Mosaik. Es ist mindestens anderthalb mal zwei Meter groß. Alles stimmt: die Blickwinkel, die Proportionen, die Abstände zwischen den Figuren. Wie ist ihr das gelungen?
    Francesco drückt meine Hand.
    »Na …«, sagt eine Stimme hinter mir.
    Ich drehe mich um.
    Da steht Tessa und lächelt.
    Ich nehme sie in die Arme. »Danke …«
    »War nicht so einfach, die Fotos zusammenzukleben. An einigen Stellen passt es nicht ganz.«
    »Es ist wunderschön.«
    »Mein Vater hat die vier Pappen in seinem Wagen transportiert. Sonst hätten wir sie bei dem Regen nicht hierherbekommen.«
    Wir setzen uns in die erste Reihe, Francesco zu meiner Linken, Tessa zu meiner Rechten, daneben Fabian und Harald Jansen.
    Auf dem Sarg liegen weiße Rosen, davor steht mein Kranz.
Ein letzter Gruß Deiner Tochter.
Ich sehe Gestecke, Sträuße, brennende Kerzen und weitere Kränze mit Schleifen von Antonia Bremer, dem Kollegium, dem Elternbeirat, dem Institut für Lehrerfortbildung, dem Kirchenchor, der Literaturgruppe, von Nachbarn und alten Freunden. Auch ein kleiner Kranz von Tessa ist dabei, sie hat rote Anemonen gewählt.
Meiner unbekannten Großmutter.
    »Bald sind alle Plätze besetzt«, flüstert sie mir zu.
    Sie zieht ein gefaltetes Blatt Papier aus ihrer Jackentasche und fängt an zu lesen.
    Ich zwinge mich, nach vorn zu blicken. Der Text ist handgeschrieben, so viel habe ich gesehen. Ihre kleine, enge Schrift.
    Das Orgelspiel beginnt.
    Es folgen Lieder, Gebete, die Ansprache von Pfarrer Böhme. Er hat Mutter gut gekannt, besser als ich. Das habe ich schon bei unserem Gespräch am Samstag gemerkt. Sie war ein aktives Mitglied seiner Gemeinde.
    Antonia Bremers Rede handelt von der inspirierenden Rektorin, die ihnen allen immer ein Vorbild gewesen sei. Ähnliches hat sie mir bei unserem Treffen Anfang September erzählt.
    Anschließend steht Tessa auf und geht zum Rednerpult. Lederjacke, kurzer Rock, lange Stiefel. Ihre Haare leuchten. »Liebe Trauergemeinde, mein Name ist Tessa Jansen. Ich habe Rita Wolf nicht gekannt, habe erst vor zwei Monaten erfahren, dass es sie gibt. Jetzt ist sie gestorben, bevor ich sie kennenlernen konnte. Ich bin ihre Enkelin.«
    Ein leichtes Raunen geht durch die Menge.
    Fabian reibt sich nervös die Hände. Kennt er den Text auch nicht?
    »Die Tochter von Rita Wolf war siebzehn, als sie mich zur Welt brachte, zu jung, um mich aufzuziehen. So kam ich zu Adoptiveltern. Mit sechzehn fing ich an, meine leibliche Mutter zu suchen. Man nannte mir einen Namen: Judith Wolf. Und eine Adresse. An meinem achtzehnten Geburtstag schrieb ich ihr einen Brief, sie antwortete mir nicht. Mehr als zwei Jahre vergingen, dann rief sie mich an. Sie war nach zwanzig Jahren zum ersten Mal wieder in Hamburg, hatte ihre Mutter im Pflegeheim besucht, sie
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