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Ferne Tochter

Ferne Tochter

Titel: Ferne Tochter
Autoren: Renate Ahrens
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Mund. »Michele Meloni.«
    »Grazie, Signor Meloni. Ich weiß nicht, was ich ohne Sie gemacht hätte.«
    »Vergessen Sie nicht Ihren Rucksack.«
    Ich will ihm zehn Euro geben, aber er winkt ab.
    »Bitte! Wenn Sie das Geld nicht wollen, geben Sie es Ihrer Frau.«
    Er lächelt wieder und nimmt nach kurzem Zögern den Schein entgegen.
    »Auf Wiedersehen.«
    »Alles Gute, Signora. Hoffentlich bis morgen.«
    Draußen schlägt mir die Hitze entgegen. An der Bushaltestelle merke ich, dass ich noch meinen fleckigen Overall anhabe. Nie zuvor bin ich in meiner Arbeitskleidung auf die Straße gegangen.

[home]
    3.
    I ch sitze im abgedunkelten Wohnzimmer, die Klimaanlage brummt, es riecht auch hier drinnen nach Jasmin.
    Der Schwindel kommt und geht in Wellen. Ich bin so unruhig, kann kaum meine Hände stillhalten. Im Liegen wird es nur schlimmer.
    Ich sehe die zerbrochenen Fensterscheiben vor mir, das eingestürzte Dach, die blaue Plastikschüssel …
    Ich ertrage es nicht.
    Selina. Vielleicht ist sie zu Hause. Sie wird sich wundern, wieso ich sie an einem Dienstagnachmittag anrufe. Es ist mir egal.
    »Pronto?«
    »Ich bin’s … Judith.«
    Im Hintergrund schreit ein Kind, ein anderes protestiert.
    »Moment …«
    Ich höre Selinas tröstende Worte, ihr Schimpfen, ihre Anweisungen. Dann wird eine Tür zugeschlagen.
    »So, da bin ich wieder. Hier herrscht gerade absolutes Chaos. Matteo hat sich Alessias Dreirad geschnappt, und die beiden Großen testen aus, wie weit sie bei dem neuen Au-pair-Mädchen gehen können. Camille, eine reizende Französin, aber völlig überfordert.«
    »Sollen wir später telefonieren?«
    »Nein. Wo bist du?«
    »… Zu Hause.«
    »Deine Stimme klingt so seltsam.«
    »Mir ist nicht gut …«
    »Was hast du?«
    Meine Kehle ist trocken.
    »Judith?«
    »Ich weiß nicht …«
    »Soll ich vorbeikommen?«
    »Und deine Kinder?«
    »Es ist ja nur für ein oder zwei Stunden. Camille muss sich sowieso daran gewöhnen, dass ich ab und zu unterwegs bin.«
    »Danke.«
    Ich lege auf, öffne die Fensterläden und steige unter die Dusche.
     
    Selina macht uns einen caffè. Ich kenne niemanden, der sich auf High Heels so schnell bewegen kann wie sie. In ihrem kurzen, cremefarbenen Kleid sieht sie aus wie ein Model.
    Sie setzt sich mir gegenüber. Ihre dunklen Augen schauen mich prüfend an. »Jetzt sag mir, was mit dir los ist.«
    Ich erzähle ihr von der Schwindelattacke und meiner plötzlichen Höhenangst. Selina will wissen, ob in den letzten Tagen etwas vorgefallen sei, ob es Probleme mit meiner Arbeit oder mit Francesco gegeben habe. Ich schüttele den Kopf.
    »Vielleicht liegt es an der neuen Hormonbehandlung.« Meine Lippen zittern.
    »Wann hast du damit begonnen?«
    »Vor sechs Monaten. Ich werde sie abbrechen, es hat keinen Zweck.«
    Selina legt mir ihre Hand auf den Arm. »Nicht aufgeben.«
    »Das sagst du so einfach!« Ich fange an zu weinen. »Seit zwölf Jahren versuche ich, schwanger zu werden! Es ist der reinste Wahnsinn! Wir müssen damit aufhören!«
    »Judith …«
    »In der Zeit hast du ein Kind nach dem anderen geboren!«
    »Du brauchst Ruhe und Erholung.«
    »Das hilft alles nichts.«
    »Niemand zwingt dich, den ganzen Sommer lang so hart zu arbeiten.«
    Ich putze mir die Nase und trinke den caffè. Er ist stark und süß.
    »Manchmal denke ich, du bestrafst dich selbst.«
    »Ich liebe meinen Beruf.«
    »Du bist zu viel allein.«
    »Das hat mir bisher nichts ausgemacht.«
    »Aber jetzt hast du Höhenangst bekommen.«
    »Vielleicht ist sie morgen wieder weg.«
    »Das glaube ich nicht.«
    Ich auch nicht. Wir schweigen. Warum schaffe ich es nicht, ihr von dem Anruf, von dem Traum zu erzählen?
    Selinas telefonino klingelt. Ich sehe einen Anflug von Erleichterung in ihrem Gesicht. Sie erklärt dem Au-pair-Mädchen, dass es sich nicht erpressen lassen dürfe. Die Kinder hätten für heute genug Schokolade gegessen. Und auch wenn Matteo einen seiner Tobsuchtsanfälle bekommen sollte, müsse sie hart bleiben. Im Übrigen sei sie bald wieder zurück.
    »Tut mir leid, dass es meinetwegen …«
    »Mach dir darüber keine Gedanken.«
    »Fahr ruhig, ich komme zurecht.«
    Selina greift nach meiner Hand »Irgendetwas ist bei dir völlig aus dem Ruder gelaufen. Ich sehe es dir an.«
    Ich kann ihrem Blick nicht standhalten.
    »So kannst du nicht weitermachen.«
    »Ich wünschte, ich könnte noch mal von vorn anfangen.«
    »Womit?«
    »Mit allem.«
     
    Ich bin wieder allein. Selina wollte mich mitnehmen,
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