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Ferne Tochter

Ferne Tochter

Titel: Ferne Tochter
Autoren: Renate Ahrens
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Ich hole die pasta fresca und einen kühlen Vermentino.«
    »Wunderbar.«
    Als ich auf die Terrasse zurückkomme, hat Francesco bereits die Windlichter und die Räucherspiralen gegen Mücken angezündet.
    Ich schenke uns Wein ein und reiche ihm ein Glas.
    »Auf dein Wohl«, sagt er leise.
    Ich sehe seinen ernsten Blick.
    Wir beginnen zu essen. Nach wenigen Bissen habe ich keinen Hunger mehr. Es ist, als ob sich eine Sperre vor meinen Mageneingang schiebt.
    »Du siehst traurig aus.«
    Mir steigen Tränen in die Augen. Dabei war ich sicher, dass ich mich unter Kontrolle hätte.
    Er spricht die Frage nicht aus und ich nicht die Antwort. Unendlich oft haben wir uns so gegenübergesessen.
    »Quäl dich nicht mehr.«
    »Wir wünschen uns so sehr ein Kind.«
    »Du zermürbst dich. Monat für Monat frisst die Enttäuschung an dir.«
    »Ich hatte so viel Hoffnung in diese neue Behandlung gesetzt.«
    »Du bist noch dünner geworden. Ich mache mir Sorgen um dich.«
    Ich schlucke.
    »Es würde dir guttun zu verreisen. Du hast den ganzen Sommer geschuftet.«
    »Ich will unbedingt die Arbeit am Engel beenden, bevor ich eine Pause mache.«
    »Wir könnten nach Sardinien fahren. Mein Vater kommt in ein paar Tagen zurück. Dann ist das Haus frei.«
    »Wenn der Engel fertig ist.«
    »Dort schwimmst du so gern und hast immer Appetit.«
    Der Gecko ist wieder aufgetaucht und lauert auf neue Beute.
    Francesco legt seine Hand auf meinen Arm. »Judith …«
    Ich bekomme trotz der Wärme eine Gänsehaut.

[home]
    2.
    E feu überwuchert das Haus, die Fensterscheiben sind zerbrochen, das Schieferdach ist eingestürzt. Neben dem Schornstein ragt Gestrüpp hervor, an den Wänden des Elternschlafzimmers hängen Reste der bunten Blümchentapete. Die Tür ist nur angelehnt, ich schiebe sie auf, ein Rascheln von Mäusen oder Ratten. Die Holzdielen sind vermodert, überall wächst Unkraut, in einer Pfütze schwimmen Zigarettenkippen. Plötzlich höre ich von hinten, aus der Küche, ein leises Wimmern, mein Herz klopft, ich stolpere, fange mich wieder, laufe so schnell ich kann, sehe die blaue Plastikschüssel mit dem kleinen Kopf … Ich schreie.
    »Judith …« Francesco nimmt mich in den Arm, streicht mir über die nasse Stirn. »Ganz ruhig.«
    »Ich …«
    »Hast du wieder von deinen Eltern geträumt?«
    »Nein … von unserem Haus.«
    »So hast du noch nie geschrien … als ginge es um Leben und Tod.«
    Ich schließe die Augen.
    »Soll ich dir etwas zu trinken holen?«
    »Ja … danke.«
    Der Anruf. Ich muss ihm davon erzählen.
    Nicht jetzt.
    Er kommt zurück, reicht mir ein Glas Wasser, ich trinke hastig ein paar Schlucke.
    »Wir sollten wirklich verreisen«, sagt er und legt sich wieder hin. »Du brauchst Entspannung, dein Engel kann warten.«
     
    Ich wache um kurz nach sieben auf. Das Bett neben mir ist leer. Auf meinem Nachttisch liegt ein Zettel.
Guten Morgen! Hoffentlich hast Du noch ein paar Stunden geschlafen. Ich bin ganz früh ins Büro gefahren. Melde mich mittags. Kuss, Dein F.
    Nicht nachdenken. Aufstehen, duschen, anziehen, einen Cappuccino trinken, ein paar biscotti essen, meinen Rucksack packen.
    Um acht verlasse ich das Haus. Es ist genauso heiß wie gestern. Kein Turmfalke in Sicht.
    Ich bekomme einen Platz in einem klimatisierten Bus. Dicht gedrängt stehen die Menschen im Gang. Ich schaue aus dem Fenster. Der Tiber fließt träge, er hat von Tag zu Tag weniger Wasser.
    Ich werde Francesco nichts erzählen, werde mich zusammenreißen, werde weiterleben wie bisher.
    Am Largo Argentina steige ich aus. In ein paar Minuten fange ich an zu arbeiten, dabei kann ich fast alles vergessen.
     
    Ich stehe auf meinem Gerüst in der Cappella Carafa und reinige die bläulich schimmernden Flügel des Engels.
    Ich bin nicht religiös, und dennoch liebe ich diese Szene, in der der Erzengel Gabriel Maria verkündet, dass sie bald den Sohn Gottes gebären werde. Voller Erwartung und mit fast kindlicher Vorfreude schaut der Engel zu der in sich versunkenen, leicht abgewandten Maria, die sich nicht sicher zu sein scheint, ob dies eine so beglückende Nachricht ist.
    Ich habe das Fresko in meinem ersten Jahr in Rom entdeckt und schon damals den Mut des Malers bewundert, Maria als eine Frau mit ambivalenten Gefühlen darzustellen. Die meisten Kunsthistoriker interpretieren Marias Haltung als Furcht vor dem Engel. Aber diese Sichtweise hat mich nie überzeugt. Der Engel hat nichts Furchteinflößendes.
    Zehn nach eins. Auch wenn die Kirche
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