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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich
Autoren: Paul Keller
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das Hochzeitsgeschenk des Heimes, und sprach dazu Verse, die ein im Heim anwesender Dichter geschaffen hatte:

»Alles Wünschen geht zur Ruh’:
Du bist ich, und ich bin du!
All dein Schmerz und Leid ist mein,
All mein Gut und Glück sind dein!
Wo dein Fuß geht, ist mein Ziel,
Was zum Dienst dir, ist mein Spiel;
Deine Blumen pflanze ich,
Deine Tänze tanze ich;
Ich will deinen Kummer klagen,
Du sollst meine Kränze tragen;
Ich kann nimmer müde sein,
Ehe du nicht schlummerst ein;
Ja, mein Gott grüßt mich von fern,
Strahlt auf dich ein goldner Stern.«

    So sprach der Dichter in den Ferien vom Ich zu dem Brautpaar.
    Schöne Lieder wurden gesungen, die Musikmeister Emmerich eingeübt hatte. Ansprachen wurden gehalten von unserem Direktor, von je einem Vertreter der Kurgäste wie der Angestellten, schließlich sprach auch ich ein paar Freundesworte. Stefenson war bewegt, als er für die Liebe, die er erfuhr, dankte, als er sagte, er habe in diesem deutschen Tale den Frieden gefunden, den er drüben im Lande der rücksichtslosen Dollarjagd niemals gekannt hatte. Hier habe er nach einem Leben voll Aufregung, Überarbeit und gelegentlichen wilden Genüssen nicht nur Ferien, sondern Feierabend gemacht. Er wisse, jetzt, da er die Frau seines Herzens gefunden habe, daß ein höheres Glück ihm Gott nicht mehr geben könne, und so wolle er drüben in Amerika seine Beziehungen klug und vorsichtig zu lösen suchen und dann ganz nach Deutschland ziehen, das ja doch seine wahre Heimat sei.

    »Und nun«, kommandierte Methusalem, »großer Festkorso auf den Weihnachtsberg.«
    Draußen war es stockdunkel; die Straßenbeleuchtung war ausgeschaltet; aber Fackeln und Laternen leuchteten phantastisch, und der Schnee schimmerte. Wohl fünfzig Schlitten hielten da. Dem Zuge voran leuchtete eine riesige, ballonartige Laterne, die an hohen Stangen getragen wurde. Auf der einen Seite zeigte die Ballonhülle das liebliche Bild der »Hanne vom Forellenhof«, auf der anderen eine scheußlich anzusehende, aber genial gezeichnete Karikatur Stefensons. Ein Meisterstück Methusalems.
    Vom Berg herab kam uns viel Volk entgegen; die Leute trugen Laternen mit transparenten Bildern: Methusalem hatte sich selbst verewigt, als tausendjährigen Greis voller Güte und Abgeklärtheit, Emmerich war von einem Mückenschwarm fliegender Noten, Violinschlüssel, Kreuze, Auflösungszeichen und Fermaten umgeben, die dicke Susanne strahlte in zinnoberrotem Licht und schimpfte fürchterlich, als sie ihr Konterfei sah, Barthel als gefesselter Verbrecher war zu sehen, Piesecke als Gott Mars in furchtbarer Rüstung, schließlich auch mein etwas ins Sentimentale karikier-ter Kopf, den ein Kranz von heulenden, bellenden, hochnäsigen, sich Flöhe schabenden Dackeln lieblich umrahmte. Lauter Meisterwerke des liebenswürdigen Greises und Vergnügungsleiters Methusalem.
    Als wir der Weihnachtsburg näher kamen, erstrahlte sie in farbigen Lichtern, Böllerschüsse hallten über Berg und Tal, und ein Chor blies vom grauen Turme herab:

»O du fröhliche, o du selige,
Gnadenbringende Weihnachtszeit.«

    Gleich hinterher aber:

»Wenn Weihnachten ist,
Wenn Weihnachten ist,
Dann kommt zu uns der heil’ge Christ;
Bringt jedem eine Muh,
Bringt jedem eine Mäh,
Bringt jedem eine wunderschöne
    Schnätterättättä!«

    Unter den Klängen dieser großen Hymne der Fröhlichkeit zogen wir in die Weihnachtsburg ein.
    Der große mit Tannenreis ausgeschmückte Saal der Weihnachtsburg füllte sich mit Menschen; Bräutigam und Braut waren zunächst nicht zu sehen. Nach etwa einer halben Stunde aber erschienen beide auf einer kleinen Empore. Sie hatten ihre hochzeitlichen Kleider abgetan und waren in phantastischen Kostümen, er als Winterkönig, sie als Königin. Regie Methusalem!
    Mit donnerstimmigem Heilruf wurde das Brautpaar begrüßt. Holdselig lächelnd grüßte die Braut in den Saal; steif und ungelenk verneigte sich Stefenson. Er fühlte sich als Winterkönig sichtlich unbehaglich. Der Thron stand auf einer amphitheatralisch ansteigenden Bühne. Ich selbst war als »Kammerherr« neben Stefenson plaziert.
    Scheinwerfer warfen auf uns wechselnde Lichter. Atemlos stand das schlichte Bergvolk. Alle Märchen- und Himmelsträume schienen vor ihm erfüllt. Feierliche Weisen erklangen, und dann sprach nicht der Winterkönig Stefenson, wie alle vermutet hatten, sondern Herr Methusalem sprach, der die Tracht eines mittelalterlichen Notarius angelegt hatte. Er entfaltete ein Pergament
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