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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich
Autoren: Paul Keller
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sich ruhig verbinden. Ich gebe zu, daß sich die beiden in der Waltersburger Schlacht feig und schäbig benommen haben. Während Sie kämpften, hat der eine gezeichnet, der andere seine Hymne gesungen. In den Kampf eingegriffen haben sie beide nicht, obwohl es ihre Pflicht war. Sie sind eben keine Helden. Ein Fest aber ist keine Schlacht; da werden die zwei ihren Mann stellen. Im übrigen gebe ich Ihnen zu bedenken, daß, falls Sie sich fernhielten, Fräulein Agathe aus der Waldschölzerei den schweren Verdacht schöpfen könnte, Sie hätten Ihren Gram um die verlorene Eva immer noch nicht verwunden.«
    »Oh«, rief Piesecke, »den hab’ ich gründlich verwunden. Aber Sie haben recht, der Verdacht läge nahe. Also mache ich mit!«
    Schon am nächsten Morgen kehrten unter ungeheurem Hallo Methusalem und Emmerich nach dem Ferienheim zurück. Eine Stunde später fand die erste »Geheime Sitzung des intimeren Festausschusses«, bestehend aus Methusalem, Emmerich und Piesecke, statt. Ich hatte bescheiden angefragt, ob ich eine beratende Stimme im Ausschuß haben dürfte, dieses aber war abgelehnt worden.

    Was haben wir für einen schönen Heiligen Abend ! Auch über die Festtage war unsere Anstalt mit Gästen gut besetzt, aber die Leute waren alle kurz vor dem Christabend etwas stiller geworden. Ich merkte, wie viele an Heimweh litten. Durch einen besonderen Anschlag war rechtzeitig bekanntgegeben worden, daß jeder Feriengast ein Paket nach Hause senden und ein solches von Hause erbitten solle. In den letzten Tagen trafen viele solche Liebesgaben bei uns ein. Sie wurden in der Direktion aufgestapelt. Wie nun der Abend kam am 24. Dezember, dieser heiligsüße Abend, an dem alle Herzen anders gehen als sonst, ritt auf schneeweißem Roß Knecht Ruprecht von Haus zu Haus. Hinter ihm fuhren in einem mit Silber, Gold und Tannengrün geschmückten Schlitten vier Englein, von denen eines die kleine Luise war, dann kam ein Bläserchor, zuletzt stampften Zwerge und Waldgeister durch den Schnee, die schleppten alle Pakete auf den Schultern und taten, als ob sie schwer daran zu tragen hätten. Vor jedem Bauernhof wurde haltgemacht. In der großen Stube brannte der Christbaum; Knecht Ruprecht trat ins Zimmer und sagte seinen Weihnachtsgruß, die Engelchen sangen ein Lied, der Bläserchor blies vor dem Hause einen Choral, und die Zwerge und Waldgeister schleppten Pakete herbei. - Grüße aus der Heimat.
    Da hat keinem von unseren Feriengästen die Weihnachtsstimmung gefehlt.
    Auch ich hatte meine Weihnachtsfreude. Am Nachmittag erhielt ich ein Kabeltelegramm von der Mutter aus Rio: »Sehne mich nach dir. Grüße von Joachim und mir an dich, Luise, Käthe und die Heimat. Eure Mutter.«
    Frieden auf Erden! Ich ging nach der Heimwehfluh. Käthe saß am Fenster, spähte nach dem Lichtschein der Fackeln, die den Schlitten begleiteten, darin ihr Kind saß, und hörte auf die alten Weihnachtslieder, die aus dem Tale drangen.
    Ich gab ihr das Telegramm. Sie las es und wurde zum ersten Male wieder ein wenig rot im Gesicht.
    »Schenke es mir zu Weihnachten«, bat sie.
    »Ich habe es dir ja gebracht.«
    Ich blieb bei ihr, wollte Luises Rückkehr abwarten.
    Da sagte sie im Laufe des Abends:
    »Ich weiß wohl, daß es nicht mehr allzulange mit mir dauern kann. Aber sage mir, ob ich übers Jahr zu Weihnachten noch leben werde.«
    »Bestimmt, Käthe!«
    Da trat ein Lächeln auf ihre Züge.
    »Das ist noch eine lange Zeit zum Glücklichsein!«

Hochzeit und Ende

    Stefensons Hochzeit fand am späten Nachmittag des ersten Christfeiertages in aller Stille in der Waltersburger Kirche statt. Nur Evas Vater und ich waren als Trauzeugen gegenwärtig. Wir waren nicht über den Marktplatz, sondern auf einem Umweg nach der Kirche gefahren. So war das von Methusalem angeordnet worden. Auf demselben Wege, den wir gekommen, mußten wir auch wieder nach Hause fahren. Ich merkte, daß Stefenson verwundert war. Die heilige Handlung in der Kirche hatte ihn gerührt, und er hatte wohl erwartet, daß es von der Kirche direkt nach dem Marktplatz zu einer stimmungsvollen großen Weihnachts- und Hochzeitsapotheose gehen würde.
    Wir fuhren aber nach dem Heim zurück, und zwar nach dem »Rathaus«, und wurden dort im großen Saal von zahlreichen Feriengästen erwartet. Das Brautpaar wurde mit Heilrufen empfangen und zu seinen Ehrensitzen geleitet. Ein schönes Mädchen mit roten Rosen im Haar überreichte den zwei Glücklichen einen goldenen, mit Wein gefüllten Pokal,
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