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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich
Autoren: Paul Keller
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fünfundzwanzig Pfennig.«
    »Behalten Sie nur das Goldstück«, erwiderte Stefenson. Da schnipste sie mit dem Finger die Münze vom Tische hinab auf den Fußboden und kreischte wütend:
    »Fünfundzwanzig Pfennig kostet es!«
    Stefenson kramte in einer Westentasche und legte fünfundzwanzig Pfennig auf den Tisch.
    »Stecken Sie das Goldstück ein!« befahl die Alte.
    Stefenson leuchtete mit Streichhölzern gehorsam den Fußboden ab, bis er die Goldmünze fand, und steckte sie ein. Darauf mischte Sibylle die Karten, ließ Stefenson dreimal abheben und sagte: »Sie sind neunundvierzig Jahre alt!« Stefenson lachte ärgerlich.
    »Neununddreißig bin ich.«
    »So sehen Sie nicht aus!«
    Darauf wurden die Karten auf den Tisch gebreitet. »Richtig - erst neununddreißig«, sagte die Wahrsagerin.
    »Am vierzehnten April geboren.«
    »Das stimmt!« rief Stefenson verblüfft.
    »Es stimmt alles, was ich sage«, knurrte die Alte. »Sie haben weder Vater noch Mutter, Bruder noch Schwester. Sie sind nicht aus diesem Lande, Sie sind über das Wasser gekommen.«
    Stefenson setzte sich staunend auf den Stuhl.
    »Sie sind sehr reich«, fuhr die Alte fort, »und werden immer reicher werden; aber Sie haben Unglück in der Liebe.«
    »Ja«, murmelte Stefenson.
    »Ihre Braut heiratet einen anderen.«
    »Ist das wahr?«
    »Ja. Aber Sie sind selbst schuld; Sie haben Ihre Braut schlecht behandelt und sie betrogen.«
    Stefenson stöhnte leise. Die Alte fuhr fort:
    »Wenn Sie sich mit dem neuen Bräutigam Ihrer Braut duellieren, werden Sie ihn töten.«
    »A-ah!«
    »Ja, aber es wird Ihnen schlimm ergehen, weil er ein vornehmer Herr ist, und das Mädchen wird doch einen anderen nehmen.«
    »Wird sie glücklich werden?« fragte Stefenson.
    »Sie wird mit jedem Manne glücklich werden, den sie nimmt. Nur mit Ihnen wäre sie unglücklich geworden.«
    »Das ist nicht wahr!« rief Stefenson.
    »Das ist ebenso wahr, als daß Sie nach einem Jahre eine reiche Amerikanerin heiraten werden.«
    »Schwindel!« rief Stefenson erbost. »Ich werde nie eine andere heiraten. Sie schwafeln da einen ungeheuren Blödsinn zusammen!«
    »Scheren Sie sich hinaus!« kreischte der Rabe wütend und klappte die Karten zusammen.
    »Ich bitte, daß Sie weitersprechen«, beruhigte sich Stefenson gewaltsam.
    Die Alte erhob sich und humpelte der Nachbartür zu. »Bleiben Sie da«, rief Stefenson; »ich habe doch fünfundzwanzig Pfennig bezahlt.«
    Sie gab keine Antwort, verschwand hinter der Tür und schob den Riegel vor.
    In diesem Augenblick sprang ich im Nebenzimmer aus dem Fenster hinaus in den Garten, ging ums Haus herum und trat durch den Flur in die Vorderstube.
    Als Stefenson und ich uns sahen, prallten wir voreinander zurück.
    »Sie - Doktor?«
    »Sie - Stefenson?«
    Er lachte außerordentlich verlegen. Leise sagte er:
    »Aber wissen Sie - nur der Wissenschaft halber . . .«
    »Ja - ich natürlich auch nur der Wissenschaft halber. Waren Sie schon dran?«
    »Ja. Und es hat merkwürdig gestimmt. Jetzt ist die Alte da hinein und hat sich abgeriegelt. Aber ich warte, bis sie herauskommt; ich will noch mehr erfahren.«
    »Wenn es Sie nicht stört, warte ich mit.«
    Ich sah, daß ihm mein Erscheinen gar nicht recht war, aber ich setzte mich auf den Tisch und ließ die Beine herabbaumeln. Eine halbe Stunde verging; es wurde langweilig. Ein paarmal hatte Stefenson an der Tür der anderen Stube geklopft, aber keine Antwort erhalten. Endlich hörten wir drin ein Gekrabbele. »Sind Sie noch da?« krächzte die Sibylle. »Jawohl!« antwortete Stefenson.
    Ein Scharren kam von nebenan, dann sagte die Alte:
    »Ich werde Ihnen für Ihre fünfundzwanzig Pfennig jetzt noch zeigen, wie Ihre künftige Frau aussieht, und dann scheren Sie sich endlich fort.«
    »Ich will nichts wissen von einer künftigen Frau, ich bleibe ledig!« widersprach Stefenson. »Kommen Sie lieber heraus und geben Sie mir noch auf einige Fragen Auskunft.«
    »Nein!« brummte der Rabe. »Sie werden nur noch Ihre künftige Frau sehen!«
    Die Tür sprang auf, und in ihrer Öffnung stand Eva Bunkert in ihrer ganzen strahlenden Schönheit.
    Stefenson faßte sich an den Kopf.
    »Eva!«
    »Ja, ich bin’s!« sagte das Mädchen, blieb stehen und lachte. »Wie ist das möglich? Wie ist das nur möglich?«
    Stefenson machte den Eindruck verdattertster Hilflosigkeit.
    Da sprang ich vom Tisch herunter, brach in Gelächter aus und schrie jubelnd:
    »Wir haben einen alten, sehr alten Fuchs gefangen. Horrido!«
    Eva hatte
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