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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich
Autoren: Paul Keller
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Gesellschaft, und kam fast in alle großen Häfen der Welt. Ich fand ihn erst im fünften Jahr meiner Wanderfahrt und wäre bei flüchtiger Begegnung wohl an dem veränderten harten Mann mit dem fremden Namen vorbeigegangen; aber ich traf ihn an Bord zwischen Rio und Montevideo, da das Schiff tagelang nicht anhält, und wurde meiner Sache gewiß, als der Fremdling sich plötzlich scheu verbarg und weder an Bord noch bei den Mahlzeiten mehr sichtbar wurde. Da suchte ich ihn in seiner Kajüte auf. Er öffnete auf mein Klopfen und erschrak, als er mich sah. Ich drängte ihn ohne weiteres in die Kajüte und schloß die Für. »Ich will nur ein wenig mit dir reden, Joachim«, sagte ich und wunderte mich über meine ruhige Stimme; »du wirst es mir nicht abschlagen können, da ich an die fünf Jahre hinter dir her bin. Und daß ich auf dein Leben und deine Entschlüsse keinen Einfluß habe, weiß ich von vorneherein. Also versteck dich nicht!« - »Was willst du?« fragte er mühsam heraus. - »Ich will nicht viel. Ich will dich nur bitten, du möchtest so alle Jahre einmal um Weihnachten an die Mutter schreiben.«
    Da fiel er auf sein Bett und weinte rasend. Ich trat an das kleine runde Kajütenfenster, an das die Wellen klatschten, und schaute hinaus auf die rollende See.
    Vorgestern bin ich nun heimgekommen nach Waltersburg zu meinem und seinem silbernen Mütterchen. Ich muß schon »silbernes Mütterchen« sagen; denn nicht nur die Haare sind silbern, auch das Gesichtchen, auch die schmalen Hände. Alles ist kostbar, edel und weiß an ihr.
    Sie fragte mich nur das eine: »Ist er gesund?«
    Ich sagte ihr, was ich wußte, auch daß er ein braver Mensch geblieben sei, woran wir beide niemals gezweifeit hatten. Dann, daß er in einer geachteten Stellung und wohl ein reicher Mann sei oder es doch werde. Darauf hörte sie kaum, sondern schlug die Händchen zusammen und jammerte: »Warum? Warum?« Das war die schwere Frage, über deren richtige Beantwortung ich nur auf der Heimreise den Kopf zerbrochen hatte. Ganze Abhandlungen hatte ich in meinem Hirn ausgearbeitet, schlagende psychologische Begründungen, wie ein Mensch dazu komme, alle Brücken zur Heimat abzubrechen; aber was sind schlagende psychologische Begründungen für eine Mutter, die fragt: Warum gibt mein Sohn keine Nachricht? Warum kommt er nicht zurück? Warum läßt er mich in dieser furchtbaren Einsamkeit und Qual? Da sagte ich ihr nur die wichtigsten Sätze, die Joachim gesprochen:
    »Ich hab’ wohl hundertmal geschrieben und tausendmal schreiben wollen. Aber ich hab’ keinen Brief abgeschickt. Ich hatte eine schreckliche Angst, dann schreibt ihr wieder, und dann halte ich’s nicht aus in der Fremde, dann muß ich zurück in diese verfluchte Heimat.«
    Sie war ein wenig betäubt über diese Worte; aber dann glomm eine Hoffnung auf in ihren Augen, und sie sagte: »Aber jetzt wird er schreiben?«
    »Ja, jetzt wird er schreiben; das ist das einzige, was ich nach meinem langen Suchen erreicht habe.«
    »Ich danke dir, lieber Fritz«, sagte sie und drückte mir schüchtern die Hand.

    Nun bin ich beinahe eine Woche zu Hause und fange an, mich glücklich zu fühlen und zu freuen. Ich glaube, zu den Freuden, die schwer zu tragen sind, gehört die Heimkehr aus fremden Landen. Und nicht bloß mir in meinem besonderen Falle wird es so gehen, nein, allen, die lange draußen waren und wieder nach Hause kommen. Es ist viel Scheu, viel Bangigkeit in der Seele, die Quellen der Lust und des Schmerzes fließen zusammen wie in einen tiefen Bronnen, aus dem erst langsam, wenn sich der zitternde Spiegel beruhigt hat, das Himmelsgesicht des Glücks auftauchen kann. Es gibt wohl keinen Heimkehrenden, der laut lachte, tanzte oder spränge. Ich habe in fremden Ländern viele robuste Burschen gesehen, die in ihre Heimat zurückkamen, und es war ganz gleich, welcher Farbe oder Rasse sie waren - sie waren schüchtern und verlegen, gingen alle ein wenig mit zusammengezogenen Schultern, sprachen seltsam leise und traten nicht fest auf, als ob sie der Heimaterde nicht weh tun wollten. Sie mußten sich alle in der Heimat erst wieder heimfinden. Es ist auch ganz natürlich: der Star, der aus dem Süden an den heimischen Kasten zurückkommt, pfeift auch nicht am ersten Tage. Er schüttelt in der entwöhnten Luft erst sein Gefieder zurecht.

    Die Mutter steht immer am Fenster und schaut nach dem Briefträger aus. Aber der Brief, auf den sie wartet, kommt nicht. Er könnte längst da sein.
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