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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich
Autoren: Paul Keller
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ersten Flasche flog mit einem Knall gegen die Decke.
    »Wie - wie beim Champagner«, stammelte Herr Hirsemann. »Blödsinn«, knurrte der Amtsgerichtsrat; »das ist Kohlensäure; die is dem Wasser eingepumpt; alles künstlich, nichts natürlich; ich kenn doch die Wasserpfützen drüben - Betrug is es, glatter Betrug!« So wartete man, bis sich die Kohlensäure verfluchtet hatte, dann trank der Bäcker und sagte: »’s schmeckt ’n bissel salzig.«
    »Weil Sie heut abend wieder Salzhering gegessen haben«, grollte der Richter.
    »Salzig kann man nicht sagen«, meinte der Getreidekaufmann Schneider, »sondern so mehr säuerlich!«
    »Ja, weil Sie von gestern noch ’ne saure Schnauze haben«, zürnte Herr Knopf.
    Unter solchen Umständen hätte der Löwenwirt, der auch mit probierte, mit seiner Äußerung, das Wasser scheine ihm eher stark nach Schwefel zu schmecken, zurückhalten sollen; denn der schlechtgelaunte Richter fuhr ihn an: »Mensch, wenn Sie tagaus, tagein nischt anderes rauchen als Ihre eigenen Zigarren, muß Ihnen natürlich alles nach Schwefel schmecken.« Darauf einigte man sich endlich: dieses Wasser schmecke wie jedes andere gewöhnliche Brunnenwasser und sei keinen Pfifferling wert.
    Ganz kurze Zeit darauf gab es in Waltersburg eine neue Aufregung. Die Neustädter hatten sich für ihr Bad einen Propagandachef engagiert.
    »Propagandachef!« - Dieses Wort war in Waltersburg seit Erschaffung der Welt noch nicht einmal ausgesprochen worden. Die Neustädter aber wußten nicht bloß, daß es so etwas gäbe, sie engagierten es sogar. Und der Propagandachef war ein Jude. Als das bekannt wurde, sagte der Bäcker abends im »Löwen«: »Die Kerls in Neustadt verlieren den letzten Rest von Schamgefühl.«
    Nach etwa sechs Wochen erschien der erste Prospekt von dem Bade Neustadt. Es war ein entzückend ausgestattetes Heftchen von Kunstdruckpapier, mit reizenden bunten und Lichtdruckbildern ausgestattet, und das Werkchen pries Neustadt in so berückender Form, daß eigentlich jeder Mensch zu bemitleiden war, der nicht augenblicklich seine Koffer packte und nach Neustadt abreiste . . .

    Die feindlichen Städte! Vielleicht, daß mir der lustige Hader die Zeit verkürzt. Von Zeit zu Zeit will ich etwas von ihm im Tagebuch vermerken . . .Joachim hat an die Mutter ein Telegramm gerichtet. »Ich kann nicht mehr schweigen; ich grüße dich und Fritz. Aber schreibt mir keine Briefe, telegraphiert nur, ob ihr gesund seid.«
    Mit diesem Telegramm saß die Mutter am Tisch, als ich heute abend nach Hause kam. Sie sprach nicht, sondern übergab mir nur wortlos die Depesche; aber sie sah mich stolz und verklärt an, als wollte sie sagen: »Sieh, solch einen guten Sohn habe ich!«
    »Ich freue mich über Joachim«, sagte ich und ließ sie allein. Von meinem Zimmer sah ich nach dem Johannisbrunnen hinunter, dessen Wasser einförmig rann.
    Die Seele des fernen Bruders war immer noch krank. Er vertrug keine Nachricht aus der Heimat. Heimat war ihm in Hölle gewandeltes Paradies. Es gab einmal ein Weib, das er mehr liebte als alles, die Mutter mit einbegriffen; es war einmal ein Freund, der ihm näherstand als der Bruder, und es war eine schöne Stadt, die ihm lieber war als der Geburtsort; das war Heidelberg.
    In Heidelberg hat ihn die Frau mit dem Freunde betrogen. Darüber kommt nun der Mann, der zwischen Rio und Montevideo hin- und herfährt, nicht mehr hinweg.

Das Modebad

    Dieser 5. April war ein sehr merkwürdiger Tag. Ich war drüben in Neustadt und besah mir den neuen Badeort; denn ich war immer noch nicht ganz im klaren, ob ich Badearzt in Neustadt werden oder lieber die Praxis des alten Sanitätsrats in Waltersburg übernehmen solle. Der Alte will sich zur Ruhe setzen. Um die Wahrheit zu sagen, er sitzt eigentlich schon sein ganzes Leben lang zur Ruhe. Den Waltersburgern fällt es niemals ein, krank zu werden. Der alte Pfarrer hier, der etwas derber Art ist, sagt: »Wenn einer nicht gerade unverschuldet verunglückt, ist es eine Schweinerei, krank zu werden. Denn wenn einer vernünftig lebt, wird er eben nicht krank, ebenso wie keiner ins Zuchthaus kommt, der nicht was ausfrißt.« So erschien dem Pfarrer der Sanitätsrat immer höchst überflüssig, wie andererseits dem Sanitätsrat, der ein Freigeist ist, der Pfarrer überflüssig erscheint. Persönlich aber vertragen sie sich recht gut, spielen auch manchmal Karten miteinander, was ihrer lebenslangen gegenseitigen Abneigung keinen Eintrag tut. Der dritte im Bunde
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