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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich
Autoren: Paul Keller
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das Bild wiederholen, das deutsche Karikaturisten malen, wenn es gilt, einen »Uncle Sam« zu zeichnen? Das kurzgeschorene Haar, den glattrasierten, rasiermesserdünnen Mund, die etwas schlottrige Figur mit den langen Beinen und fuchtelnden mageren Armen, die Stummelpfeife, den karierten Anzug und diesen anderen Kram? Nein! Ich ging zweimal durch die Stube, stellte fest, daß achtzehn Tische unbesetzt und einer besetzt war, und setzte mich dann an den besetzten, dem Gaste gegenüber, ohne ihn zu grüßen. Der andere blickte auch jetzt nicht auf. Er sah gelangweilt ins Tal. Ich beachtete ihn auch nicht. Der Kellner kam, und ich machte meine Bestellung. Darauf war es ganz still.
    Endlich blickte der Mann mir gegenüber auf und sagte, indem er nach Neustadt hinunterwies:
    »Das ist ein sehr albernes Nest da unten!«
    Er sprach englisch; aber ich entgegnete deutsch:
    »So kann man schon sagen. Es gefällt mir auch nicht.«
    »Aber bei uns in Amerika werden Sie auch dumme Badeorte gefunden haben.«
    »Woraus schließen Sie, daß ich in Amerika war?«
    »Ich denke es mir.«
    »So, so!«
    Darauf schwiegen wir. Erst nach einem Weilchen nahm »Uncle Sam« das Gespräch wieder auf:
    »Sie halten nichts von unseren modernen Kurorten?«
    »>Nichts< kann ich nicht sagen. Es gibt zehn gute Kurorte und neunzig unnütze. Das sage ich.«
    »Und wie denken Sie sich einen ganz guten Kurort?«
    Ich zuckte die Achseln.
    »Ich habe mir manchmal ein Bild ausgemalt, wenn ich als Schiffsarzt die nötige Muße zu solchen Träumen hatte.«
    »Sie sind Schiffsarzt?«
    »Ich war es.«
    Ich fand es nun angemessen, mich vorzustellen. Darauf wippte er auch ein wenig vom Stuhle auf und sagte:
    »Mister Stefenson. Öl und Naphta. New York, Milwaukee, St. Louis und Trinidad. Nun, wie ist das mit Ihrem Kurort?«
    »Es ist gar nichts. Es ist ein Traum, eine verrückte Idee!«
    »Verrückte Idee ist schön. Deutschland ist ein gutes Land, aber es leidet einen sehr großen Mangel an verrückten Ideen. Es ist zu brav, es macht zu viel nach. Den deutschen Unternehmungen fehlt die überraschende Pointe. Der Amerikanismus ist besser.«
    »Das sagen Sie so!«
    »Es ist so.«
    Ich war verstimmt und schwieg.
    »Nun?« fragte er ungeduldig.
    »Mister Stefenson, wenn ich Ihnen meine Idee entwickeln wollte, würden wir viel Zeit verbrauchen; am Schluß würden Sie mich doch nicht verstehen. So was liegt Ihnen nicht.«
    »Wir haben Zeit, ich werde Sie verstehen, und es liegt mir«, gab er zur Antwort.
    Da kam ich in Laune und sagte:
    »Ich will es Ihnen in ganz kurzen Linien umreißen. Ich will mal annehmen, meine Heilanstalt bestände schon und Mister Stefenson käme zu mir als Kurgast.«
    »Das ist gut! Das ist instruktiv!« rief er. »Wie heißt Ihr Sanatorium?«
    »Ferien vom Ich.«
    »Wie?«
    »Ferien vom Ich.«
    »Das ist kein guter Name. Dabei kann man sich nichts denken. Das zieht nicht.«
    »Mister Stefenson, wenn Sie mir schon von vornherein widersprechen, werde ich Ihnen kein Wort über meine Heilanstalt sagen. Daß Sie den Namen nicht ohne weiteres begreifen, ist doch eben das Neue und Gute.«
    »Well; ich sage nichts mehr. Ich höre.«
    »Also: Irgendwo auf der Welt, sagen wir auf dem Ostabhang dieses Weihnachtsberges bei Waltersburg, liegt die Heilanstalt >Ferien vom Ich<. Auch Mister Stefenson, der schon in vielen Kuranstalten und nie ganz zufrieden gewesen w 7 ar, hat von der Anstalt gehört und hauptsächlich darum, weil es etwas Neues war, beschlossen, sie aufzusuchen. Er reist nach Waltersburg. Mister Stefenson kommt mit sieben Koffern und zwei Dienern an «
    Mein Gegenüber nickt.
    »Stimmt. Sie sind Gedankenleser.«
    »Der Ankömmling findet in der Nähe von Waltersburg ein Gelände von Wald, Hügeln, Gärten, ganz von einer hohen Mauer umschlossen, über die kein Mensch hinwegsehen kann. Er merkt gleich: ah, an dieser Mauer ist die Welt alle, hier ist eine Welt für sich. Die Mauer hat nur ein einziges Tor. »Ferien vom Ich« steht darüber. Mister Stefenson, der mit drei Wagen ankommt, zieht die Schelle an der Pforte. Eine tiefe Glocke schlägt einmal an. Da kommt von drinnen her ein Diener, der öffnet das Tor. Er ist nicht in der weltüblichen Tracht, er trägt Pluderhosen, Sandalen an den Füßen, eine weite, am Hals ausgeschnittene Bluse und ist barhäuptig. Vor Stefenson macht er keine Verneigung, sondern sagt: »Lieber Freund, Sie sind wohl wenig unterrichtet, sonst kämen Sie nicht mit solch unnötigem Kram hier an. Seien Sie so gut,
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