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Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Titel: Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
Autoren: Mike Carey
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der Schüssel etwa zwei Zentimeter hoch bedeckte. Dann, während Sebastian noch neben mir stand, zog ich die Platte aus der Kamera und achtete darauf, sie mit meinem Körper vor den Blicken des Publikums abzudecken. »Sebastian«, sagte ich, »du bist noch immer der Kameramann. Das heißt, du bist das Medium, durch das die Spukgestalten sich bemerkbar machen. Bitte tauche das Fotopapier in den Essig und achte darauf, dass es vollständig damit bedeckt ist! Währenddessen müsste auf dem Papier ein Bild entstehen. Siehst du schon etwas, Sebastian?«
    Peter hatte sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, von seinem Standort vor der Wand herüberzukommen: Tatsächlich lehnte er sich jetzt dagegen und erschien noch mürrischer und gelangweilter als vorher. Sebastian blickte zuerst verwirrt und dann voller Befremden auf das Papier, während er es in der Schüssel hin und her schob.
    »Siehst du ein Bild?«, wiederholte ich und wusste genau, dass er eins sah.
    »Ja!«, platzte er heraus. Jeder im Raum bekam jetzt seine Anspannung und sein Staunen mit: Ich musste die Stimmung nicht noch verbal anheizen.
    »Was zeigt das Bild?«
    »Einen Jungen. Es ist … ich glaube, es ist …!«
    »Natürlich siehst du einen Jungen«, unterbrach ich ihn. »Wir haben ein Foto von deinem Bruder Peter gemacht. Siehst du ihn, Sebastian?«
    Er schüttelte den Kopf, während er mit großen Augen auf das verschwommene Foto blickte. »Nein. Nun, ich meine, ja, aber – da ist auch noch jemand anders. Es ist …«
    Ich unterbrach ihn nochmals. Alles zu seiner Zeit. »Jemand, den du kennst?«
    Sebastian nickte heftig. »Ja.«
    Ich betrachte das, was ich da tat, gerne als tätige Außenseiterhilfe, aber wenn in dem Ganzen nicht auch ein sadistisches Element enthalten gewesen wäre, hätte ich nicht zu Peter geschaut, als ich die nächsten Worte aussprach. »Hat er einen Namen, dieser andere Junge? Welche dunklen Wunder aus der Geisterwelt haben wir eingefangen und an die Wand genagelt, Sebastian? Nenn uns den Namen!«
    Sebastian schluckte schwer. Es war echte Angst, keine Effekthascherei, aber die angespannte Pause war besser als alles, was ich hätte inszenieren können.
    »Davey Simmons«, sagte Sebastian mit etwas zu hoher Stimme.
    Die Wirkung auf Peter war erschreckend. In seinem Schrei lag ehrliches, nacktes Grauen, während er sich von der Wand abstieß und in drei Stakkatoschritten zur Schüssel kam. Aber ich war zu schnell. »Danke, Sebastian«, sagte ich, angelte das Foto aus der Schüssel und wedelte damit in der Luft herum, als wollte ich es trocknen – dass ich es Peters Griff entzog, war reiner Zufall.
    Es war ziemlich gut herausgekommen. Schwarz-weiß natürlich und an den Rändern dunkel, wo Licht auf das Papier gefallen war, aber an den entscheidenden Stellen deutlich und klar. Es zeigte Peter als eine Art grobkörnigen Schatten, nur erkennbar an seiner Körperhaltung und dem dunkleren Fleck seiner Haare. Im Gegensatz dazu war die Gestalt, die neben ihm stand, sehr deutlich getroffen: unglücklich, ausgebleicht, gezeichnet von Zeit, Einsamkeit und seinem eigenen Tod, aber nicht zu verwechseln mit Faulgas, einer aus Pappe ausgeschnittenen Figur oder einem Produkt fehlgeleiteter Einbildungskraft.
    »Davey Simmons«, sinnierte ich. »Kanntest du ihn gut, Peter?«
    »Ich habe verdammt noch mal noch nie von ihm gehört!«, schrie Peter und warf sich mit verzweifelter Wut auf mich. »Geben Sie mir das!« Ich bin keineswegs stark, aber trotz seiner stämmigen Figur war Peter nur ein Kind. Ihn abzuwehren, während ich das Foto seinen Freunden zeigte, machte mir keine Mühe. Sie starrten es mit einem Ausdruck an, der von namenlosem Grauen bis zu schließmuskellösender Panik reichte.
    »Dennoch«, meinte ich, »steht er neben dir, wenn du isst, arbeitest und schläfst. Im Tod sieht er dir zu, wie du lebst, Tag und Nacht. Was meinst du, weshalb das so ist?«
    »Ich weiß nicht«, kreischte Peter. »Ich weiß es nicht! Geben Sie her!«
    Die meisten Kinder waren inzwischen auf den Beinen. Einige drängten nach vorn, um einen Blick auf das Bild zu werfen, doch die meisten zogen sich zurück, als wollten sie es so weit wie möglich hinter sich lassen. James Dodson pflügte durch sie hindurch wie ein Schlachtschiff durch einen Schwarm Krabbenboote und riss mir das Bild aus der Hand. Peter wandte seine Aufmerksamkeit sofort seinem Vater zu und versuchte erneut, das Foto an sich zu bringen, aber James stieß ihn grob zurück. Er blickte völlig
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