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Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Titel: Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
Autoren: Mike Carey
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Menschen in dieser Zeit richtete ich mich nach dem Kalender, wenn ich vorhatte, nach Anbruch der Nacht aus dem Haus zu gehen. Die Toten richten sich natürlich nicht nach den Mondphasen, aber es gab eine Menge hässlicherer Erscheinungen, die es taten – und mit den Toten wurde ich auf jeden Fall fertig.
    Daher fuhr ich zur Craven Park Road. Es war ein Ziel, und ich musste sowieso alle zwei Monate im Büro vorbeischauen, um die Post wegzuwerfen. Anderenfalls hätte das ständig zunehmende Gewicht unbezahlter Rechnungen die Statik des Gebäudes gefährdet.
    Harlesden war nicht gerade der beste Ort auf der Welt, um ein Praxisschild aufzuhängen. Man musste seinen Wagen auf der Hauptstraße parken, wenn man eine reelle Chance haben wollte, dass er noch dort stand, wenn man wieder zurückkam. Die Yardies verhökerten auf der Straße Koks und zwangen einen zum Wegsehen, wenn man aus Versehen mit ihnen Blickkontakt aufnahm, und die Bettler, die erschöpft in den Hauseingängen saßen und deren hohläugige Blicke einen durchbohrten wie die von Coleridges altem Seefahrer, wenn man an ihnen vorbeiging, waren vorwiegend Auferstandene. Ich meine keine Geister, sondern die, die in einem Körper zurückkommen: Zombies, in Ermangelung eines weniger dramatischen Begriffs. Sie waren insgesamt ein trauriger Haufen, aber das hielt einen nicht davon ab, eine Gänsehaut zu bekommen, wenn man ihnen begegnete.
    Aber an diesem Abend war es verhältnismäßig ruhig. Sogar das Schild über meiner Tür hatte sich ganz gut gehalten. Manchmal kamen die Jugendlichen aus dem Stonehouse Estate mit ihren Sprayfarben vorbei, verwandelten das Schild in etwas Drolliges, Barockes und verwischten dabei das schlichte, würdevolle Erscheinungsbild, das ich der Welt präsentiere. Aber an diesem Abend erstrahlten die Worte F. CASTOR, ERADIKATIONEN in all ihrer nüchternen Klarheit.
    Grambas, der Inhaber des Kebab-Restaurants nebenan, lehnte in seinem Eingang und genoss seine selbst gedrehte Zigarette, deren schwerer Rauch ihn einhüllte wie ein Leichenhemd. Er grinste, als ich die Tür aufschloss, und ich zwinkerte ihm zu. Wir hatten eine Abmachung: Er hatte versprochen, keine Geister zu exorzieren oder Dämonen zu bannen, solange ich kein fettiges Essen und gegorene Salate anbot.
    Mein Büro befand sich tatsächlich genau über dem Kebab-Restaurant. Gleich nach der Tür begann eine enge Treppe mit ungemütlich hohen Stufen, die in einer scharfen Rechtskurve zu meinen im ersten Stock gelegenen Geschäftsräumen führte. Pen sagte, die Stufen seien so hoch, weil der Umbau ziemlich seltsam verlaufen sei, indem zwischen drei und vier Stockwerken gewechselt wurde, je nachdem, welcher der ursprünglichen Bewohner seine Behausung verkaufte und welcher blieb. Ich denke, die Bauunternehmer hatten nur auf den Gewinn geschielt: Zwanzig hohe Stufen konnte man schneller aufeinandersetzen als dreißig mit Normhöhe.
    Ich raffte eine dicke Handvoll Post zusammen und ging weiter nach oben. Selbst wenn man topfit war, war man auf der obersten dieser Stufen ein wenig außer Atem. Ich war nicht topfit. Ich öffnete die Bürotür mit einem Tritt, wobei ich keuchte wie ein obszöner Anrufer, und knipste das Licht an.
    Es war kein besonders tolles Büro, selbst für Harlesden-Standards. Seine Lage über einem Kebabladen – die im Hinblick auf regelmäßige Nahrungsaufnahme von Vorteil war – verlieh den Wänden, den Möbeln und der Luft, die man atmete, einen fettigen Geruch, und Pen hatte bisher ihre Zusicherungen, mir anständige Möbel zu besorgen, nicht eingelöst (obgleich ihr Angebot noch stand, falls ich je meinen Mietrückstand ausgleichen würde), daher war alles, was ich hatte, ein Selbstbauschreibtisch mit Resopalplatte und zwei Stahlrohrsessel von IKEA. Der Aktenschrank, ein Zwergmöbel mit zwei Schubladen, diente auch als Tisch für Wasserkocher und Teeutensilien. Als Wandschmuck hatte ich sechs gerahmte Illustrationen aus Der kleine Nemo im Schlummerland , die ich bei IKEA im Zuge der gleichen Expedition erstanden hatte, die mir die Sessel beschert hatte. Sie sorgten dafür, dass meine Kunden sich entspannten und aufgeschlossen waren. Außerdem hatten sie pro Stück nur vier Pfund gekostet.
    Ja. Es war bescheiden. Aber es war meins.
    Oder zumindest war es das gewesen.
    Ich ließ mich in einen Sessel sinken, legte die Füße auf den Aktenschrank und begann die Post durchzublättern. Für jedes Teil echter Post fand ich zwei Curry-Imbiss-Prospekte und ein
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