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Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Titel: Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
Autoren: Mike Carey
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sich zu einem Lächeln.
    »Danke«, sagte ich.
    »Gern geschehen.«
    »Das mit der Hochzeit deiner Mutter tut mir leid.«
    »Ja. Das sagtest du.«
    Eine Pause. Ich ging zu ihr, aber sie hob die Hand und bremste mich, ehe ich sie berühren konnte. Ich gehorchte und hielt Abstand.
    Sie brauchte lange, um die richtigen Worte zu finden. »Ich bin froh über das, was du getan hast«, sagte sie. »Es war cool. Es muss jemanden geben, der sich für Leute wie Sylvie einsetzt – ich meine, Snezhna – und dafür sorgt, dass ihnen Gerechtigkeit widerfährt. Schließlich sind da draußen Millionen Leute, die die Lebenden vor den Toten schützen. Jemand muss auch die Toten vor den Lebenden schützen. Dieses Gleichgewicht ist dringend nötig, nicht? Ich glaube nicht, dass du bis heute auch nur geahnt hast, dass auch das zu deinen Aufgaben zählt.«
    Cheryl blinzelte mehrfach heftig, als würde sie gleich anfangen zu weinen. Möglich, dass ich mir das auch nur einbildete. Es war nicht in ihrer Stimme zu hören, und sie hatte keine Probleme, mir in die Augen zu sehen. »Der Punkt ist«, sagte sie bekümmert, »dass du zu leicht und schnell lügst. Du hast dich die ganze Zeit selbst belogen, dir eingeredet, dass Geister nur Dinge sind, keine Menschen. Damit du dich nicht schuldig fühlen musstest, weil du sie ausgetrickst hast, und dann hast du mich belogen, als du es gar nicht musstest. Als ich dir ohnehin geholfen hätte, wenn du mir die Wahrheit gesagt hättest. Das ist eine beschissene Basis für eine Beziehung.«
    »Beziehung?«, fragte ich. »He, es war eine gute Nummer, und ich mag dich auch und alles …«
    Sie erkannte ihre eigenen Worte und lachte. Aber sie wurde wieder ernst.
    »Wir können immer noch Freunde sein«, sagte sie. »Das würde mir gefallen. Aber ich kann nicht – du weißt schon. Ich kann mich keinem Mann öffnen, dem ich nicht vertraue. Das funktioniert nicht.«
    Sie ließ zu, dass ich sie einmal küsste, ganz sanft, auf die Lippen.
    »Jetzt hast du es versucht«, sagte ich. »Daher hast du jedes Recht zu sagen, dass du es nicht magst.«
    Genau wie bei Alice: Es war alles, was ich hatte, und ich wusste, es war nicht genug. Der Klang von Cheryls Keyboard begleitete mich durch den ganzen Korridor, verlor sich jedoch schnell in der abweisenden Kälte des Gebäudes, während ich die Treppe hinunterging.

25
    M an geht weiter. Man geht zurück. Weiter, weil man älter wird, und zurück, weil es immer Angewohnheiten und Abläufe gibt, die einen festhalten und zurückwerfen, wenn man sich nicht in Acht nimmt.
    Ehe es dazu kam beziehungsweise ehe dieser Vorgang abgeschlossen war, lieh ich mir Pens Wagen und fuhr in den frühen Morgenstunden eines Sonntags rüber zur Charles-Stanger-Care-Facility. Ich parkte, ging an der Eingangstür vorbei und um das Haus herum in die Parkanlage. Es war so still, wie es nur sein konnte, jedenfalls aus dieser Perspektive. Keine Schreie und kein Weinen, kein heftiges Rascheln, kein Schlurfen, kein wildes Rennen. Nur die Blumen, die ihre Blüten im Mondlicht wiegten, das sporadische Bellen eines Hundes in der Ferne und ab und zu eine Motte, die erfolglos versuchte, sich an einer fünfundzwanzig Watt starken Solar-Gartenleuchte zu verbrennen.
    Ich suchte mir eine Bank und setzte mich. Dann wartete ich. Ich ließ die Stimmung auf mich wirken und stellte fest, dass ihr die Tonart D-Dur am nächsten kam. Als ich wusste, was ich wollte, holte ich meine Flöte hervor und begann zu spielen.
    Es war wieder ein Clarke-Modell, das ich in der Hand hielt, aber kein Original. Aus seltsamen Gründen, die damit zu tun hatten, dass ich in meinem Leben ein neues Kapitel beginnen wollte, hatte ich mich für eine grüne Sweetone entschieden. Noch hatte ich meinen Mund nicht genügend damit vertraut gemacht, und ich war noch immer von der Wunde in meiner Schulter, wo Juliet auf der Mercedes ihre Klauen hineingebohrt hatte, ein wenig steif. Daher klang meine Version von »Henry Martin«, die ich anstimmte, vermutlich ein wenig zittrig und wild. Tatsächlich war sie ziemlich rau, sodass ich befürchtete, das, was ich beabsichtigte, würde gar nicht funktionieren. Ich spielte die Melodie durch und wagte nicht, den Kopf zu heben, bis ich zu der Stelle » … and all of her merry men drowned « gelangte.
    Als ich aufblickte, waren sie da: die drei kleinen Geister mit ihren bleichen, ernsten Gesichtern, der älteste etwa dreizehn, der jüngste nicht älter als zehn. Zwei von ihnen trugen adrette
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