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Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Titel: Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
Autoren: Mike Carey
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öffnete die Schlösser mithilfe von Richs Schlüsselbund, und wir betraten den oberen Raum des geheimen Archivanbaus. Rosa sah sich um, schüttelte den Kopf und lachte ohne den geringsten Anflug von Belustigung. Ich hielt inne, um zu lauschen, und bedeutete Rosa, meinem Beispiel zu folgen. Von unten drang kein Laut herauf.
    »Sie sollten hier warten«, sagte ich, da ich wusste, dass ihre Nerven in dieser Nacht keine weitere unangenehme Überraschung mehr verkraften könnten, und Rich wäre vermutlich eine Überraschung der übelsten Sorte.
    Ich schloss die Tür zur Treppe auf, knipste das Licht an und ging hinunter. Rich war noch dort, aber die Atmosphäre im Keller hatte ihm anscheinend nicht gutgetan. Er kauerte zusammengesunken auf dem Boden, hatte die Beine angezogen und stierte auf seine Knie. Er reagierte nicht, als ich seinen Namen rief, und seine Augen zuckten kein bisschen, als ich mit der Hand vor seinem Gesicht herumwedelte. Die Lichter brannten, aber es war klar, dass niemand zu Hause war. Ich nahm an, dass Snezhna ihm einen weiteren Besuch abgestattet hatte, während ich weg war, und keine besonders angenehme Gesellschaft gewesen war. Wenn jemand bekam, was er verdient hatte, hielt sich mein Mitleid in Grenzen.
    Ich ging wieder nach oben und winkte Rosa. Ich erzählte ihr kurz von Rich und warum er dort war. Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, und sie schob die Unterlippe vor.
    »Ich bringe ihn um«, fauchte sie.
    »Um ehrlich zu sein«, sagte ich und war mir durchaus bewusst, dass ich wiederholte, was Cheryl mir eine Woche zuvor über die weibliche Geistererscheinung gesagt hatte, »glaube ich, dass Sie ihm damit einen Gefallen tun würden. Aber es hat heute Nacht schon genug Tote gegeben, und es wäre zu grausam, damit weiterzumachen, daher schlage ich Folgendes vor: Sie versprechen, ihn nicht zu töten, und wir gehen runter und treffen Snezhna. Einverstanden?«
    Aber während ich es aussprach, verstand ich, dass es nicht von Bedeutung war. Ein bekanntes Gefühl überkam mich, aufgenommen von irgendeinem meiner ganz speziellen Sinne, der ständig auf den Empfang von Radio Tod eingestellt war.
    Ich ging voraus die Treppe hinunter, und Rosa folgte mir. Sie fletschte hasserfüllt die Zähne, als sie Rich sah. Er erwiderte ihren Blick gleichgültig, trübe und ohne ein Anzeichen des Erkennens.
    Ich sah auf die fleckige, ausrangierte Matratze. Dort war nichts zu sehen, aber dort hielt sie sich auf. Sie war die Quelle, von der alles kam.
    Ich deutete darauf, und Rosa schaute in die Richtung.
    »Da«, sagte ich. »Keine Angst.«
    Sie hatte keine, musste ich gerechterweise feststellen. Snezhnas Antlitz tauchte aus dem Fußboden auf wie Venus aus der Brandung. Dabei flatterten die ausgefransten Ränder ihres Gesichts wie ein Seidenschal in einem Windhauch, den wir nicht spüren konnten. Aber Rosa blieb an Ort und Stelle, während ihre Augen sich mit Tränen füllten.
    Als Snezhna sich auf Fußbodenniveau – oder ein paar Zentimeter darüber – befand, hielt sie inne, und die beiden Frauen sahen einander über eine Distanz von etwa drei Metern an. Die Tränen rannen jetzt ungehindert über Rosas Gesicht. Sie sagte etwas auf Russisch, und Snezhna nickte und antwortete dann. Rosa schüttelte staunend den Kopf.
    Diskretion war eine weitere Tugend, der ich eigentlich niemals viel hatte abgewinnen können, aber ich entschied in diesem Moment, dass Rich und mir ein wenig frische Luft sehr guttun würde. Ich band ihn los, packte ihn mit einer Hand unterm Arm und zog ihn auf die Füße, wogegen er sich nicht wehrte. Ich führte ihn die Treppe hinauf, und er bewältigte diesen Weg duldsam wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird. Nur einmal sah er mich unendlich traurig an. Anscheinend wollte er etwas loswerden, aber er fand offenbar nicht die richtigen Worte oder vergaß, was er hatte sagen wollen.
    Ich richtete die Couch auf und ließ Rich darauf Platz nehmen. Dann griff ich nach einer der verbliebenen Wasserflaschen, knöpfte mein Hemd auf, spritzte Wasser auf meine Brust und versuchte mit kaum erwähnenswertem Erfolg, die Hennazeichnung zu entfernen. Sie wurde keinen Deut blasser. Dazu wären viel Seife, Wasser und vor allem Zeit erforderlich. Bis dahin hoffte ich, dass der Klang meiner heiseren Stimme auch als sexy und nicht nur als lächerlich empfunden wurde.
    Ich ließ den Schwestern viel Zeit, denn das, was Rosa tat, musste richtig getan werden. Ich wusste das besser als jeder andere,
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