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Feist, Raymond - Die Erben von Midkemia 3

Titel: Feist, Raymond - Die Erben von Midkemia 3
Autoren: Konklave der Schatten
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Sie wollten Eber jagen, und Kaspar war kaum stark genug, den Eberspeer mit seiner schweren Spitze zu tragen. Er war ganz in der Nähe seines Vaters, als dieser die beiden ersten Eber erlegte, aber als er seinem eigenen Wildschwein gegenüberstand, zögerte er, und das Tier wich der breiten Spitze der Waffe aus. Kaspar erkannte mit einem Seitenblick die Missbilligung seines Vaters und jagte dem Eber ins Unterholz nach, ohne sich um die Warnungen der anderen zu kümmern.
    Bevor die Männer ihn einholen konnten, hatte Kaspar den Eber in ein Dickicht getrieben, wo das Tier nicht mehr fliehen konnte. Kaspar machte so gut wie alles falsch, aber als sein Vater und die anderen eintrafen, stand er triumphierend neben dem noch zuckenden Tier und ignorierte die Risswunde in seinem Bein. Der Oberste Jäger tötete das Tier rasch mit einem Pfeil, und Kaspars Vater beeilte sich, das Bein seines Sohnes zu verbinden.
    Der Stolz, den Kaspar in den Augen seines Vaters sah, so sehr im Widerspruch zu den mahnenden Worten, hatte den Jungen für das ganze Leben geprägt. Hab keine Angst. Er wusste, ganz gleich, was geschah, er musste seine Entscheidungen furchtlos treffen, oder sie waren sinnlos.
    Kaspar erinnerte sich an den Tag, als der Mantel des Herrschers um seine Schultern gelegt wurde. Er hatte still dagestanden und die Hand seiner kleinen Schwester gehalten, als die Priester den Scheiterhaufen seines Vaters anzündeten. Als Rauch und Asche zum Himmel aufstiegen, hatte der junge Herzog von Olasko erneut geschworen, in allen Dingen furchtlos zu sein und sein Volk zu beschützen, als stünde er wieder diesem Eber gegenüber.
    Irgendwie war alles schief gegangen. Er hatte nur versucht, Olasko einen angemessenen Platz an der Sonne zu verschaffen, aber das hatte sich in nackten Ehrgeiz verwandelt, und Kaspar war zu dem Schluss gekommen, er müsse König von Roldem werden.
    Als Achter in der Thronfolge hätte er nur ein paar Unfälle und das vorzeitige Dahinscheiden der anderen Kandidaten gebraucht, um die unterschiedlichen Nationen des Ostens unter dem Banner von Roldem vereinen zu können.
    Als er nun dalag und darüber nachdachte, erschien sein Vater plötzlich vor ihm, und einen Augenblick fragte sich Kaspar, ob er vielleicht schon tot und sein Vater gekommen war, um ihn in die Halle des Todes zu geleiten, wo Lims-Kragma das Gewicht seines Lebens auf die Waage legen und entscheiden würde, wo sein Platz bei der nächsten Drehung des Rades sein sollte.
    »Habe ich dir nicht gesagt, du sollst vorsichtig sein?«
    Kaspar versuchte zu sprechen, aber es kam nur ein krächzendes Flüstern heraus: »Was?«
    »Von allen Schwächen, unter denen ein Mann leiden kann, ist Eitelkeit die tödlichste. Eitelkeit kann selbst einen weisen Mann in einen Dummkopf verwände In .«
    Kaspar setzte sich hin, und sein Vater war verschwunden.

    In seinem Fieberwahn hatte er keine Ahnung, was diese Vision zu bedeuten hatte, aber irgendetwas sagte ihm, dass es wichtig war. Er hatte nicht die Zeit, darüber nachzudenken. Er wusste, er würde nicht bis zum Sonnenuntergang warten können; sein Leben dauerte vielleicht nur noch Minuten. Er stolperte hinunter ins Flachland, wo Hitzeschlieren über den grauen und ockerfarbenen Felsen hingen, taumelte über die geborstenen Überreste von Steinen, die einmal von Wasser glatt geschliffen worden waren.
    Wasser.
    Er sah Dinge, die nicht da waren. Er wusste, dass sein Vater tot war, aber nun schien sein Geist vor ihm herzumarschieren.
    »Du hast dich zu sehr auf die verlassen, die dir gesagt haben, was du hören wolltest, und jene ignoriert, die versuchten, dir die Wahrheit zu sagen.«
    In seinem Kopf schrie Kaspar: »Aber ich war eine Kraft, die alle fürchteten!« Die Worte kamen nur als unartikuliertes Grunzen heraus.
    »Angst ist nicht das einzige Werkzeug von Diplomatie und Herrschaft, mein Sohn. Loyalität entsteht aus Vertrauen.«
    »Vertrauen!«, schrie Kaspar, seine Stimme ein abgerissenes Keuchen, und das Wort schien an den Seiten seines pergamenttrockenen Halses entlangzukratzen. »Vertraue niemandem!« Er blieb stehen und wäre beinahe vornübergefallen, als er einen anklagenden Zeigefinger auf seinen Vater richtete. »Das hast du mir beigebracht!«

    »Ich hatte mich geirrt«, sagte die Erscheinung traurig und verschwand.
    Kaspar sah sich um und erkannte, dass er in die Richtung taumelte, wo er die Reflexion des Schimmerns bemerkt hatte. Er stolperte weiter, hob einen Fuß und setzte ihn vor den anderen.
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