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Feinde kann man sich nicht aussuchen

Feinde kann man sich nicht aussuchen

Titel: Feinde kann man sich nicht aussuchen
Autoren: Marcia Muller
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den Assistenten zu bezahlen, den ich
einzustellen plante. Er sagte, er würde sich mit Kost und Logis begnügen. Ich
setzte ihm auseinander, daß ich gern allein in meinem Haus wohnte. Er meinte,
ich würde seine Anwesenheit gar nicht bemerken. Ich erklärte das Projekt für
unrealisierbar. Er schmollte. Seit unserer letzten Diskussion war er
verschlossen und heimlichtuerisch, aber ich bekam trotzdem mit, daß seine
Studien voranschritten: gestern hatte ich mehrere Bücher — darunter ›Schlösserknacken‹ — kein Problem und › Nichts wie weg — Fahrtechniken für
Fluchtsituationen‹ — unter seinem Bett im Gästezimmer gefunden. Angesichts
seines Hangs zu illegalen Aktivitäten fand ich diese beiden Titel doch
einigermaßen beunruhigend. Nein, Charlene und Ricky würden ganz und gar
nicht glücklich über Tante Sharons erzieherischen Einfluß sein. Genauer
gesagt: wenn Mick bei diesem Vorhaben blieb, würde mich meine Schwester
umbringen.
    Mick war jetzt mit der Steckdose
fertig. Er stand auf und klopfte sich den Staub von der Vorderfront seiner
Jeans und seines Arbeitshemds. Er sah den Katalog in meiner Hand und zuckte
schuldbewußt zusammen.
    »Und was willst du diesmal bestellen?«
fragte ich, das Angebot durchblätternd. »Das ›Hacker-Handbuch ‹? ›Viel
Geld für nichts — Lug, Trug und Nepp?‹ Oder wie wär’s mit ›Papiere
fälschen leicht gemacht‹ ?«
    »Du hast meine Post geöffnet.«
    »Nur aus Versehen.« Ich streckte ihm
den Katalog hin.
    Er zog eine ziemlich gelungene
Bulldoggenschnute. »Klar doch, nur aus Versehen. Du regst dich so über meine
Berufspläne auf, daß du vermutlich auch schon das Telefon angezapft hast.«
    »Mick —«
    »Ich verstehe nicht, warum du dich so
aufspielst.«
    »Ich habe dir gesagt, das ist eine
harte Sache. Schon allein, da reinzukommen.«
    »Na ja, für dich war’s vielleicht hart —
als Frau, damals.«
    Damals, im finsteren Mittelalter.
Großer Gott, manchmal schaffte er es, daß ich mich uralt fühlte! »Das
stimmt. Aber die Ausbildung ist wahrhaftig nicht spannend — für niemanden, auch
heute nicht. Du jobbst beim Wachdienst, so wie ich damals vor dem College und
nebenher, und du hoffst, daß die da oben auf dich aufmerksam werden, oder du
hockst an einem Computer und suchst endlos irgendwelche Dateien durch, oder du
klapperst die Schrottplätze ab —«
    »Na und? Du hast es auch durchgestanden
und deine Lizenz gekriegt.«
    »Nur, weil ich keinen anderen Job
finden konnte, mit meinem Magister in Soziologie. Nur, weil ich das Glück
hatte, an einen Boß zu geraten, der willens war, mich auszubilden und zu
fördern.«
    » Ich hatte das Glück, daß Mom und Dad mich
hierher geschickt haben, damit ich dir helfe.«
    »Das ist nicht dasselbe, Michael.«
    »Mick.«
    »Sorry.«
    »Warum ist es nicht dasselbe?«
    »Weil...« Ich suchte nach einer
Erklärung. »Weil du Voraussetzungen und Möglichkeiten hast, die ich nicht
hatte.«
    »Zum Beispiel?«
    »Zum Beispiel wohlhabende Eltern, die
willens sind, dir ein Studium zu finanzieren.« Na bitte, Charlene, dachte ich,
ich habe mit ihm über eine akademische Ausbildung gesprochen.
    Mick verdrehte die Augen. »Fang nicht
damit an, Tante Shar.« Der Titel »Tante« war eins der Dinge, die bewirkten, daß
ich mich alt fühlte. Ich sagte mir, wenn er ständig seinen Namen änderte und
von mir erwartete, daß ich jeweils bedachte, welcher gerade angesagt war,
konnte ich wohl von ihm auch verlangen, eine lebenslange Gewohnheit aufzugeben.
»Sharon oder Shar«, sagte ich resolut. »Vergiß das ›Tante‹.«
    Er runzelte die Stirn. »Äh — okay.«
    Von draußen hörte ich das Brummen eines
Lastwagenmotors. Ich ging ans Fenster, sah hinunter und entdeckte den
Lieferwagen von Breuner. »Die Möbel sind da«, erklärte ich, froh über die
Unterbrechung. »Könntest du runtergehen und ihnen zeigen, wohin?«
    Er ging zur Tür, den
Bequeme-Bezugsquellen-Katalog schützend mit beiden Händen umklammernd. »Weißt
du«, sagte er, »wenn du nicht willst, daß ich für dich arbeite, muß ich eben zusehen,
wie ich es allein schaffe. Ich habe schon einen Plan.«
    »Was für einen Plan?«
    Er schüttelte den Kopf, grinste mich
durchtrieben an und verschwand um den Türpfosten. Ich seufzte resigniert.
    O ja, meine Schwester würde mich
umbringen.
     
     
     
     
     

2
    Während des Goldrauschs, in den
vierziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts, nannte man die South
Beach-Gegend von San Francisco das Happy Valley, und
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