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Feinde kann man sich nicht aussuchen

Feinde kann man sich nicht aussuchen

Titel: Feinde kann man sich nicht aussuchen
Autoren: Marcia Muller
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gewesen wäre. Allerdings
würde RKI für immer einen Platz in meinem Herzen haben: die Prämie, die sie mir
im Juli dafür hatten zukommen lassen, daß ich sie vor einer Katastrophe bewahrt
hatte, war das Startkapital für das Ermittlungsbüro McCone gewesen.
    Ich sah auf die Uhr. Gleich elf. Die
Chaiselongue war gerade rechtzeitig aus meinem Büro verschwunden, um Platz für
die neue Sitzgarnitur zu machen, die jeden Augenblick kommen konnte.
    Ted hatte wohl mitbekommen, daß ich ein
bißchen down war, denn er sagte jetzt: »Ich wette, ich kann dir das Karnickel
so wieder kleben, daß keiner was merkt.«
    »Danke.« Ich lächelte ihn liebevoll an.
Er ist eine so bizarre Mischung aus einem Ästheten und einem hartgesottenen
Manager — ein spitzbärtiger Gentleman mit einem Faible für altmodische Kleidung
und der Angewohnheit, banale Unterhaltungen mit lateinischen Zitaten zu würzen,
und gleichzeitig ein Profi, der fast hundert Leute unter sich hat und die
größte Anwaltskanzlei Nordkaliforniens mit scheinbar müheloser Effizienz am
Laufen hält. Und jetzt behauptete er auch noch, die Gabe zu besitzen,
zerbrochene Kunstgegenstände zu reparieren.
    »Ach, übrigens«, sagte er, »da ist
jemand für dich im Sprechzimmer.«
    Ich linste nach drüben, sah aber
niemanden. »Wer?«
    Er konsultierte einen Notizblock auf
seinem Schreibtisch. »T. J. Gordon. Er meinte, du kennst ihn.«
    Der Name sagte mir nichts. Ich trat
näher an den Durchgang heran und spähte in den Raum. Ein Mann im dunkelblauen
Busineß-Anzug stand in der Fensternische, die Hände hinter dem Rücken
verschränkt, und betrachtete das Geschehen auf der Straße. Ich blinzelte. Hielt
die Luft an. »Suitcase«, sagte ich leise.
    »Wer?« fragte Ted.
    Ich schüttelte den Kopf, starrte
hinüber.
    T. J. Gordon — Telford Junius Gordon,
laut Eintrag auf seinem Führerschein — trug den Spitznamen Suitcase, solange
ich ihn kannte. Ich hatte seit über fünfzehn Jahren nicht mehr an ihn gedacht.
    Er hatte sich in dieser Zeit nicht groß
verändert. Seine knapp einssiebzig lange Gestalt war noch genauso hager, die
schmalen Schultern hingen vornüber wie eh und je, das dunkelbraune Haar, jetzt
graumeliert, wölbte sich noch immer zu einer Scheiteltolle und fiel ihm schlaff
in die hohe Stirn. Der Anzug wirkte teuer, womöglich maßgeschneidert, die
Armbanduhr, auf die er jetzt sah, konnte durchaus eine Rolex sein, aber irgend
etwas sagte mir, daß gleich unter der kultivierten Fassade der alte Suitcase
Gordon lauerte.
    Er hörte mich, als ich den Empfangsraum
betrat, und drehte sich um. Seine grauen Augen tasteten mich rasch ab, und er
nickte, als entspreche meine Erscheinung irgendeiner mitgebrachten Erwartung
seinerseits. Sein scharfgeschnittenes Gesicht war vergleichsweise faltenlos;
als er lächelte, stellte ich fest, daß er mich immer noch an ein freundliches
Nagetier erinnerte. Er bückte sich nach einer eleganten ledernen Aktenmappe,
die neben seinen nicht minder eleganten Schuhen stand, und die Vergangenheit
brach jäh über mich herein.
    Damals, auf dem Campus von Berkeley,
wäre es ein Koffer gewesen, nach dem er sich gebückt hätte — so ein altes,
braungestreiftes Pappding, das sein ständiger Begleiter war. Dieser Koffer war
immer brechend voll mit dem, was er gerade verscherbelte: Marihuana, Semesterarbeiten
zu verschiedensten Themen, Amphetaminen, falschen Ausweisen, geklauten
Fragebögen für bevorstehende Klausuren, Blanco-Flugtickets, Broschüren mit
Rechtshilfe-Tips für Demonstranten, Listen von konspirativen Wohnungen für
Revolutionäre. Er firmierte als fliegender Händler in Tricks, Trips und
vielleicht sogar Träumen, der Mann mit dem Allround-Sortiment in dem schäbigen
Koffer, der ihm seinen Spitznamen eingetragen hatte.
    Suits, wie er bald allgemein hieß, war
eine Art Dauergast in dem großen alten Haus an der Durant Avenue, das ich mit
einer fluktuierenden Gruppe von Studenten — darunter auch Hank Zahn und seine
jetzige Frau Anne-Marie Altman — teilte. Er stand plötzlich vor der Tür, gerade
aus Südkalifornien, von der Ostküste oder aus dem mittleren Westen zurück, und
wir durften ihm dann Verpflegung und einen Schlafplatz stellen. Im Gegenzug
pflegte er Kostproben von dem zu verteilen, womit er gerade handelte, und uns
mit den neuesten Campus-Nachrichten aus so weit entfernten Orten wie Boston,
Ann Arbor, Boulder oder Austin zu versorgen. Dann ging er seinen Geschäften
nach, wieselte auf seine geduckte, verstohlene Art
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