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Feinde kann man sich nicht aussuchen

Feinde kann man sich nicht aussuchen

Titel: Feinde kann man sich nicht aussuchen
Autoren: Marcia Muller
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So sah er schon eher aus wie der Suits aus unseren
College-Tagen. Während uns der Aufzug wieder in die Halle hinunterbrachte,
fragte ich: »Suits, womit genau verdienst du dein Geld?«
    Er schüttelte den Kopf und sah sich
mißtrauisch um.
    Großer Gott, vermutete er etwa Wanzen
hier im Aufzug? Ich zuckte die Achseln und folgte ihm nach draußen, vorbei an
dem schwänzelnden Portier. Suits marschierte den Grabenrand entlang, bedachte
einen untätig herumstehenden Arbeiter mit einem finsteren Blick und flitzte
dann über den pockennarbigen Asphalt des Embarcadero, den heranbrausenden Autos
mit der leichtfüßigen Grazie eines Toreros ausweichend. Ich wartete auf eine
Verkehrslücke, ehe ich ihm nachsetzte.
    »Hast du vielleicht einen heimlichen
Todeswunsch?« fragte ich.
    Er antwortete nicht, sondern steuerte
nur diagonal zwischen dem Boondocks-Restaurant und Red’s Java House hindurch
und dann raschen Schritts in südlicher Richtung. Ich eilte hinter ihm her,
holte auf und zog an seiner Sweatshirt-Kapuze. »Wohin gehen wir?«
    Er riß sich mit einem Ruck los und
hastete auf seine seltsam wieselige Art weiter — wohl um seinen Ärger über die
Baustelle abzureagieren, vermutete ich. Ein ganzes Stück weiter die Hafenfront
hinunter, hinter dem neuen Yachthafen und einigen stillgelegten Kaianlagen,
befand sich ein weiteres kleines Restaurant, das Miranda’s. Suits strebte auf
den schmucklosen grauen Schindelbau zu und hielt mir die Tür auf. Innen war es
ein ganz normaler Hafenarbeiter-Imbiß: nicht touristengerecht aufgemotzt, kein
pseudo-nautischer Schnickschnack, einfach nur eine Imbißtheke mit Grill und
Kaffeemaschine dahinter und gelbe Kunstleder-Sitznischen vor den Fenstern. Ich
schlüpfte auf die Bank, die Suits mir anwies, und er fragte: »Was kriegst du?«
    »Kaffee, bitte. Schwarz.«
    »Nichts zu essen?«
    »Nein, danke, nur Kaffee.«
    Er wandte sich achselzuckend ab und
ging an den Tresen. Der Koch, ein untersetzter Glatzkopf mit einer fleckigen
weißen Schürze, schien ihn zu kennen, da er freundschaftlich-knapp nickte und
ihn T. J. nannte. Suits bestellte und setzte sich zum Warten auf einen
Barhocker.
    Ich sah aus dem schmierigen,
salzverkrusteten Fenster. Es bot einen Panoramablick von der Bay Bridge und
Yerba Buena Island bis zu der Zugbrücke über dem China Basin. Ein graues
Panorama an diesem Tag: typisches Augustwetter, wenn auch ungewöhnlich herb für
diese Gegend, die eine der privilegierteren unter den vielen Klimazonen der
Stadt ist. Ich beobachtete, wie ein Schwarm Möwen über dem Wasser nordwärts
segelte und dann in verschiedene Richtungen auseinanderstob. Weiter draußen
steuerte ein Frachter langsam auf den Hafen von Oakland zu.
    Suits kam ein paar Minuten später mit
zwei Tassen Kaffee zurück und ging dann noch einmal an den Tresen, um einen
Teller mit einem halben Dutzend kleiner Hamburger zu holen. Während ich noch in
meinem Kaffee rührte, hatte er schon drei davon verschlungen. Ich hatte völlig
vergessen, daß er für einen so dünnen Menschen enorme Mengen verdrücken konnte.
    »Also«, sagte ich nach dem ersten
Schluck von der Flüssigkeit in meiner Tasse, die sich als besonders gräßliches
Gebräu entpuppte, »bist du jetzt bereit, mir zu erzählen, was das alles soll?«
    Er tupfte sich den Mund mit einer Papierserviette
ab. »Weißt du, was ein Turnaround-Experte ist?«
    »Einer von diesen Leuten, die fast
bankrotte Firmen wieder sanieren?«
    »Genau. So einer bin ich. Wenn alles
zusammenbricht und nichts mehr geht, komme ich und rette den Laden.«
    Ich schwieg, während Suits seine
restlichen Hamburger aß. Ich versuchte, mich an einen Artikel in einer alten ›Fortune ‹-Nummer
zu erinnern, die bei meinem letzten Zahnarztbesuch vor ein paar Monaten als
einziger Lesestoff im Wartezimmer gelegen hatte. Die Überschrift hieß: »Was
Turnaround-Experten wert sind«, und die ersten Absätze — mehr hatte ich nicht
geschafft, bevor ich unter den Bohrer kam — schilderten die Sanierer als eine
Art Übermenschen, edle Ritter, die in Privatjets und Limousinen in die Schlacht
zogen. Dieses Bild paßte nicht auf den Suitcase Gordon, den ich kannte, und
Fähigkeiten der erwähnten Art hatte ich ihn noch nie an den Tag legen sehen.
    »Wie bist du in dieses Metier geraten?«
fragte ich.
    Er schüttelte den Kopf — eine
reflexhaft-brüske Zurückweisung meiner Frage. Es erinnerte mich an die Art, wie
die Typen von Savings & Loan die Reporter nach der Klageerhebung mit
»Kein
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