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Feinde kann man sich nicht aussuchen

Feinde kann man sich nicht aussuchen

Titel: Feinde kann man sich nicht aussuchen
Autoren: Marcia Muller
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dieser Name ist heute noch
überaus passend. Natürlich hausen dort nur noch die Geister der über Nacht
reich gewordenen Schürfer und ihrer eleganten Damen, und auch die Seeleute und
Dockarbeiter, die einst hier ihrer Arbeit nachgingen, sind so gut wie
verschwunden. Viele Leichtindustrie-Unternehmen flüchteten Anfang der achtziger
Jahre vor den hohen Mieten. Doch die verlassenen Lagerhäuser und Fabrikgebäude
weichen jetzt nach und nach Luxus-Wohnanlagen; die verfallenden alten
Hafenanlagen werden neuen, nicht-maritimen Zwecken zugeführt; es gibt einen
neuen Yachthafen, und jede Woche scheint ein neues Schickeria-Restaurant zu
eröffnen. Selbst das große Erdbeben von 1989 hat South Beach einen Gefallen
getan, indem es den unansehnlichen Embarcadero Freeway beschädigte. Als die
Pfeilerkonstruktion schließlich abgerissen wurde, taten sich längst vergessene
Ausblicke auf die Bay auf. Das heutige Happy Valley bietet eine Fülle von
Attraktionen.
    Welche davon, so fragte ich mich,
mochte Suitcase Gordon hierhergezogen haben?
    Der Apartment-Komplex Bay Vista war ein
achtstöckiges Gebäude aus dunkelrotem Backstein, dem Stil des neunzehnten
Jahrhunderts nachempfunden. Ein Schild, das noch weitere Wohneinheiten zum
Verkauf feilbot, warb mit Einzelterrassen zum Meer hin, einem Health-Club, zwei
Pools, Tennisplätzen, einem Deli, einem Lebensmittelmarkt, Hausmeister-Service,
Tiefgarage und Türhüterdienst rund um die Uhr. Leider war es unmöglich, den
Komplex vom Embarcadero her anzufahren, da wegen Ausbauarbeiten neben der
Fahrbahn ein zehn Meter breiter Graben klaffte. Ich mußte um den Block fahren,
hinter dem Gebäude parken und dann zu Fuß ein Schuttgrundstück voller
abgestellter Bagger und Planiermaschinen überqueren.
    Tatsächlich tat, wie versprochen, ein
Türhüter am Eingang Dienst, aber er gerierte sich mürrisch, bis ich nach Mr.
Gordon fragte — worauf er vor lauter Höflichkeit fast zu schwänzeln begann. Ein
Expreß-Aufzug — fast ein Privatlift, da nur für zwei Wohneinheiten bestimmt —
brachte mich in den obersten Stock, wo Suits ungeduldig in seiner Tür wartete.
Er bugsierte mich rasch durch eine geräumige Diele in einen riesigen Raum mit
einer Glasfront zur Terrasse. An der einen Schmalseite befand sich ein Marmorkamin,
an der anderen eine Bar mit Spiegelwand; und genau in der Mitte des
Parkettbodens standen auf einem Webteppich, der aussah wie aus dem
Billig-Discount, ein mit Krempel übersäter Tisch und zwei Klappstühle. Drei
stählerne Aktenschränke und eine Konsole mit Telefon und Faxgerät waren über
Eck von der Bar aufgereiht. Das war alles.
    »Hübsche Einrichtung«, sagte ich.
    Suits runzelte die Stirn und sagte
achselzuckend: »Ich wollte Möbel kaufen, bin aber bis jetzt nicht dazu
gekommen.«
    »Und wie lange wohnst du schon hier?«
    »Ein Jahr?«
    »Ein Jahr!«
    »Was soll ich sagen? Ich war
beschäftigt.«
    »Scheint ganz so. Aber wozu so eine
Wohnung, wenn du hier doch nur nächtigst, so wie damals in unserem Haus an der
Durant Avenue?«
    »Na ja, mir gefällt der
Textilreinigungs- und Putzservice. Und es gibt einen Hubschrauberlandeplatz
oben auf dem Dach. Aber... komm mit.« Er faßte mich um die Schultern und schob
mich in Richtung Terrasse. »Die eigentliche Attraktion ist die Aussicht. Genau
das, was ich brauche, um mein Visionsvermögen zu trainieren.«
    Ich wollte gerade fragen, wie er das
meinte, als von unten ein lautes Rumpeln heraufdrang. Ich nutzte die
Gelegenheit, um mich seiner Berührung zu entziehen, indem ich an die Brüstung
trat und hinuntersah. Ein Schaufellader kroch, widerwärtige schwarze
Abgasschwaden ausrülpsend, den Graben entlang.
    Suits trat neben mich und sagte etwas.
    »Was?«
    Er starrte finster auf den
Schaufellader hinunter, dirigierte mich dann mit einer Handbewegung wieder nach
drinnen, und knallte die Tür hinter uns zu.
    »Ich hoffe nur, daß sie bald mit dieser
Scheißstraße fertig sind und verschwinden«, knurrte er. »Dieser Krach und der
Gestank und diese verdammten Warnpiepser, die immer loslegen, sobald sie
rückwärtsfahren — das macht mich noch völlig wahnsinnig. Der Kerl, der diese
Piepdinger erfunden hat, gehört erschossen.«
    »Wie lange geht das da unten schon so?«
    »Zu lange. Paß auf, laß uns hier
abhauen und irgendwo einen Kaffee trinken. Dann können wir reden.«
    Das war durchaus in meinem Sinne, also
wartete ich, während er seine Bürokleidung gegen ein Kapuzen-Sweatshirt, Jeans
und Jogging-Schuhe tauschte.
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