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Feinde kann man sich nicht aussuchen

Feinde kann man sich nicht aussuchen

Titel: Feinde kann man sich nicht aussuchen
Autoren: Marcia Muller
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mit seinem Koffer in
Berkeley herum. Und eines Tages war er einfach wieder verschwunden, ohne
Vorankündigung und ohne Erklärung.
    Als Suits jetzt auf mich zukam, fragte
ich mich, was er wohl in dieser Aktenmappe hatte. Und mir schwante, daß ich es
bald erfahren würde.
    »Siehst gut aus, Sherry-O«, sagte er,
wobei er die Mappe auf dem Couchtischchen abstellte und die Arme ausbreitete,
um mich zu begrüßen.
    Sherry-O! Nicht zu fassen, daß ich mich
von ihm so hatte nennen lassen. Mit einem matten Lächeln nahm ich seine
Umarmung entgegen. Mein Körper fühlte sich steif und hölzern an. Ich entwand
mich ihm rasch.
    Suits schmale Lippen formten immer noch
ein Lächeln, aber jetzt war es... sarkastisch? Nein, ironisch. Warum?
    Er sagte: »Habe im Examiner gelesen, daß du deinen eigenen Laden aufmachst. Gutes Gelingen.«
    Eine Reporterin, die ich kannte, hatte
im Wirtschaftsteil vom letzten Sonntag ein ausführliches Profil von mir
untergebracht. »Danke«, sagte ich. »Setz dich doch.«
    Suits streifte mit einer ruckartigen
Armbewegung die Manschette zurück und sah wieder auf seine Uhr. Tatsächlich,
eine Rolex. »Geht nicht. Habe in vierundzwanzig Minuten einen Termin im
Zentrum, also will ich mich kurz fassen. Ich bin hier, um dich anzuheuern.«
    »Wofür?«
    »Das müssen wir später besprechen. Ich
habe fast eine halbe Stunde damit zugebracht, auf dich zu warten.«
    Diese Bemerkung erinnerte mich wieder
an seine wenig charmante Gewohnheit, einen immer im unpassenden Moment zu
kritisieren. Umgangsformen waren nicht seine Stärke. »Du hättest dich ja
voranmelden können«, sagte ich bissig.
    »Mm-mmm. In Anbetracht unserer
Geschichte war es wohl besser, einfach hier aufzukreuzen.«
    »Unserer Geschichte?«
    »Na ja, ich hab dich schließlich
sitzenlassen.«
    »Du hast was ?«
    Er schien verdutzt über meine Reaktion.
Dann sah er sich um, als fürchtete er, jemand könnte uns belauschen. »Du weißt
doch, nach dieser Halloween-Party. Ich habe mich am nächsten Morgen einfach aus
der Stadt verdrückt. Hatte jahrelang Schuldgefühle deswegen, aber es ging nun
mal nicht anders. Ich war noch nicht reif für eine ernsthafte Bindung, damals
noch nicht.«
    »Halloween-Party? Oh...« Jetzt fiel mir
wieder ein, wovon er redete, aber seine revisionistische Version »unserer«
Geschichte verblüffte mich doch.
    In einer wein- und dopeseligen Nacht,
Ende der siebziger Jahre, hatte ich gänzlich den Verstand verloren und
zugelassen, daß Suits zu mir ins Bett krabbelte. Als ich am nächsten Morgen
aufgewacht war und mit Entsetzen realisiert hatte, was passiert war, war er zum
Glück verschwunden gewesen. Bei seinen darauffolgenden Campus-Besuchen war ich
ihm aus dem Weg gegangen, und binnen eines halben Jahres hatte ich mich
verliebt — oder es zumindest geglaubt — und war zu meinem neuen Freund gezogen.
Den schmählichen Vorfall mit Suits hatte ich in den für extreme Fehlgriffe
reservierten Winkel meines Gehirns verbannt und schließlich vergessen.
    Nicht so offenbar er — der Mann, der
mich »sitzengelassen« und sich »aus der Stadt verdrückt« hatte, um weiteren
romantischen Verstrickungen zu entgehen!
    Er sah mich ängstlich an, hoffte wohl
auf Absolution. Ich spürte den boshaften Drang, die Dinge richtigzustellen,
unterdrückte ihn jedoch schleunigst. Sinnlos, so alte und fundamentale
Wahrnehmungsdifferenzen noch einmal aufzukochen. Nicht nötig, seinen
Mannesstolz nach so vielen Jahren zu kränken. Außerdem war dieser Mann hier, um
mich anzuheuern.
    »Na ja«, sagte ich, nachdem ich so getan
hatte, als dächte ich ernsthaft über seine Worte nach, »du hast uns
wahrscheinlich beiden eine Menge Kummer erspart, indem du weggegangen bist. Ich
war damals, weiß Gott, auch noch nicht reif für eine ernsthafte Bindung. Ich
bin es bis heute nicht.«
    Er nickte, sichtlich erleichtert.
»Also, was sagst du, Sherry-O? Nimmst du einen alten Freund als Klienten an?«
    »Suits, ich muß erst mehr über die
Sache wissen, ehe ich das sagen kann.«
    Er sah wieder auf seine Armbanduhr.
»Später, okay? Wir reden später drüber.«
    »Wann?«
    »Vierzehn Uhr.« Er griff in seine
Innentasche, nahm eine Geschäftskarte heraus und hielt sie mir hin. »Meine
Privatadresse steht hinten drauf. Sei pünktlich.« Dann strebte er zur Tür,
mißtrauisch um sich schauend, mit eingezogenem Kopf und einem seltsam
wieseligen Gang — original Suitcase.
    Ich musterte die Karte. Auf der
Vorderseite stand in Prägedruck:
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