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Fehlt noch ein Baum

Fehlt noch ein Baum

Titel: Fehlt noch ein Baum
Autoren: Irina Tabunowa
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besonders – »Wer ist schuld?«.
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    20. Juli 2003
Und die Bibel sagt
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    Was für bequeme Kleidung die Säuglinge doch haben! Weich, dehnbar, nirgendwo zwackt es, und zwischen den Beinen gibt es Druckknöpfe. Oder Pampers. Die sind äußerst komfortabel. Warum benutzen die Erwachsenen Pampers nur für Kranke? Immerhin steht in der Bibel: »Werdet wie die Kinder …«
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    21. Juli 2003
Sektierer
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    Nachdem ich Mutter geworden war, begriff ich, dass ich nun zur großen und mächtigen Sekte der Eltern gehörte. Dagegen ist
Herbalife
ein kleines Familienunternehmen.
Aum Shinrikyo
muss sich auf die Zehenspitzen stellen, um auch nur einen Hauch von Bedeutung zu haben, und das weltweite Drogendealernetz wischt sich frustriert den Kleinjungenrotz von der Nase. Hier gibt es alles: die Initiation, die verschiedenen Stufen der Einweihung, feste Rituale und eine eigene Mythologie. Man verständigt sich untereinander mit Code-Wörtern, die Kinderlose nicht verstehen. Man hat seinen eigenen Slang und seine Lieblingsthemen.
    Ãœberhaupt sind die Unterhaltungen junger Mütterbeim Spazierengehen etwas ganz Besonderes. Nie hätte ich gedacht, dass die Erörterung der Farbe von Kinderkacke dermaßen ergreifend sein kann.
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    22. Juli 2003
Hellblau und rosa
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    Am Sonntag, dem 20. Juli, wurde meine Tochter 50 Tage alt. Die Gäste schenkten Vera eine Karte mit der Aufschrift »Zum Jubiläum« und der Zahl 50 sowie ein radikal rosafarbenes Fahrrad.
    Aus irgendeinem Grund ist es üblich, Kleinkinder verschiedenen Geschlechts in verschiedene Farben zu kleiden und ihnen entsprechende Sachen zu schenken. Man zieht den Jungs etwas Hellblaues und den Mädchen etwas Rosafarbenes an. Und dann wundert man sich über die sexuelle Orientierung der heranwachsenden Generation.
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    23. Juli 2003
Seifenblasen
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    Heute habe ich eine absolute Mangelware meiner Kindheit erstanden – ein Ding, mit dem man Seifenblasen machen kann. Es war natürlich für meine Tochter. Eine Freundin, die dabei war, sagte, man könne die Flüssigkeit im Behälter mit einem beliebigen Spülmittel auffüllen, der Effekt sei immer kongenial. Das hat mich beflügelt. Ich kam nach Hause und fing an, vor meiner Tochter Blasen steigen zu lassen.
    Vera maß diesem Zauberstück keine Bedeutung bei. Sie drehte sich weg und schniefte abschätzig. Dafür hat es mir gefallen.
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    23. Juli 2003
Seifenblasen 2
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    Gerade kommen wir von einem Spaziergang entlang der Baugruben zurück. Wir hatten die tiefste Stelle gefunden und waren hinuntergerollt, wobei wir uns fast den Kinderwagen zerschossen hätten. Die Gruben waren voller Dost und Johanniskraut. Vera und ich lagen inmitten dieses duftenden Kraters und hatten Schaum vorm Mund. Meine Blasen waren schöner, sie flogen hinauf zum Himmel und glänzten mit ihrer perlmutternen Oberfläche.
    Und irgendwo schufteten Leute auf dem Bau, Motoren liefen, Betonmischer drehten sich, Satelliten flogen, Atomreaktoren brummten … Und wir machten Blasen, es war so romantisch, man hätte schreien können.
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    24. Juli 2003
Raubbau
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    Ich sitze da und pule die Schokoladenglasur von einer Torte mit dem Namen »Zauberfee«, produziert im Werk
Nowye Tscherjomuschki
. In dieser Form darf ich sie dann essen.
    Die Diät stillender Mütter ist wahrhaftig eine Barbarei. Allein von Kefir bekommt meine winzige Tochter keinen Ausschlag. Aber vielleicht ist meine Milch auch dermaßen ungenießbar?
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    25. Juli 2003
Yoga
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    Veras Entwicklung läuft auf Hochtouren. Und zwar unabhängig von mir. Gestern, zum Beispiel, hat sie ein
Asana
gelernt – eine Faust mit einem zwischen Zeigeund Mittelfinger steckenden Daumen. Wie schnell die Kinder groß werden! Ehe man sichs versieht, sitzen sie schon im Lotussitz und pfeifen auf ihre Eltern …
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    28. Juli 2003
Das Problem mit der Ähnlichkeit
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    Zwei Monate habe ich Qualen erlitten beim Anblick meiner Tochter. Ich habe sie hin und her gedreht und sie bei verschiedener Beleuchtung betrachtet, gemartert von nur einem Gedanken: »Wem sieht sie ähnlich?«
    Die Meinungen meiner Verwandten und Freunde waren widersprüchlich. Meine Mutter meinte, dass Vera ihr Kinn und die Form ihrer Beine habe, und daher in allem ganz wie sie selbst sei. Mein Vater behauptete, sein Enkelkind habe seine Brauen, und das sei das Wichtigste. Meine Schwester
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