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Fehlschuss

Fehlschuss

Titel: Fehlschuss
Autoren: Anna Geller
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den
Gästen zertreten worden waren.
    Chris bohrte seine Zehen in den feuchten Sand und sah zu, wie die
Sonne langsam sank. Er war immer noch fassungslos, dass er der Vendée, diesem
schmalen Landstreifen zwischen Nantes und La Rochelle, bisher nie Beachtung
geschenkt hatte. Für ihn war das immer nur plattes Land gewesen,
trockengelegter Sumpf, Mückenplage und verödete Wiesen.
    Dabei hatte die karge Landschaft einen ganz besonderen Reiz. Das Marschland
war von Hunderten Kanälen durchzogen, gesäumt mit knorrigen Kiefern. Die
Fischerhütten entlang der Treidelpfade — meist gewagte Holzkonstruktionen —
standen auf morschen Stelzen über dem Wasser, und bei einsetzender Ebbe senkten
ihre Besitzer blaue und rote Netze ins Wasser, mit denen sie dicke Krebse und
Langusten aus dem Schlick zogen. Ein Schauspiel, an dem Chris sich kaum
sattsehen konnte.
    Beinahe ebenso gern saß er in einem kleinen Bistro an der Straße, die
die Ile de Noirmoutier mit dem Festland verband und nur bei Ebbe befahrbar war.
Sobald sich das Wasser zurückzog, waren der holprige, vom Meer ausgewaschene
Weg und die Sandbänke zwischen Insel und Festland plötzlich so bevölkert wie
die Kölner Fußgängerzone. In Gummistiefeln und Ölzeug schwärmten die Franzosen
aus. Sie sammelten Miesmuscheln und Krebse, oder gruben diese platten Würmer
aus dem Sand, die gebraten eine Delikatesse waren.
    Stundenlang konnten Karin und Chris dort sitzen und einfach nur diesem
Treiben zusehen. Und schon am dritten Tag holte der Wirt des Bistros einen
besonderen Wein aus dem Keller, den sie unbedingt kosten mussten. Von da an
setzte er sich immer eine Weile zu ihnen und nahm sich Zeit für einen
gemütlichen Plausch.
    Wenn sie nicht im Bistro saßen oder den Fischern zuschauten, machten
sie lange Spaziergänge am Strand. Der feuchte harte Sand direkt am Wasser gab
Karins Krücken den nötigen Halt, sodass sie es beinahe in den Nachbarort
schafften. Heute waren sie allerdings zur Abwechslung in die andere Richtung gegangen
und legten jetzt eine Zigarettenpause ein, bevor sie den Rückweg antraten.
    Chris drückte die Kippe in den Sand und begann, sein Handtuch
zusammenzurollen. Wenn sie nicht im Stockdunkeln beim Auto anlangen wollten,
wurde es Zeit für den Aufbruch.
    Karin starrte aufs Meer und seufzte plötzlich auf.
    „Was ist?“, fragte Chris irritiert.
    „Ach — ich dachte nur gerade, ob ich denn bald meine Hasselblad
zurückkriege. Das Farbenspiel hier wäre was für die alte Dame!“
    „Na, Susanne hat doch versprochen, Dampf zu machen. Es gibt keinen
Grund, sie als Beweisstück festzuhalten. Eickboom ist tot, und Carlos wird in
Spanien vor Gericht gestellt. Du wirst sehen, wenn wir zurück sind, hat Susanne
deine alte Dame sicher schon auf dem Schreibtisch liegen.“
    Karin zog das rechte Bein an und stützte ihr Kinn aufs Knie. „Meinst
du, sie werden noch alle Details klären können? Wo Carlos sich in Köln
aufgehalten hat, woher er ein Auto hatte und so weiter.“
    Chris zuckte die Achseln. „Wahrscheinlich nicht. Ich nehme an,
Eickboom hat das alles organisiert. Aber den kann nun keiner mehr fragen. —
Wollen wir zurückgehen, bevor´s dunkel wird?“
    Er stand auf und wartete, bis Karin sich aufgerappelt hatte.
Inzwischen kannte er seine Freundin gut genug, um zu wissen, dass es weder die
Hasselblad noch Carlos waren, die Karin so nachdenklich machten.
    Aber wie immer dauerte es eine Weile, bis Karin aussprach, was sie
wirklich beschäftigte. Sie waren schon beinahe wieder am Parkplatz, als sie
plötzlich stehen blieb und sagte: „Weißt du, ich glaube, Eickboom hat Inge
wirklich gemocht. Er wollte sicher nicht, dass sie stirbt. Aber als es dann
passiert war, kam eins zum anderen. Eine Kettenreaktion, die nicht mehr zu
stoppen war.“
    „Ist das nicht immer so? Löst nicht jede unserer Handlungen wiederum
eine Handlung aus, die weder abzusehen noch beeinflussbar ist?“
    „Du meinst: Inge fällt das Notizbuch aus der Hose, und wir lernen uns
kennen. Ich erzähle dir was von Edelnutte, du gehst daraufhin zu Tinni, und
letztendlich bist du an die Kundenliste gekommen, und so weiter und so weiter.“
    „So ähnlich, ja!“ Chris nickte und sah auf den blutroten Ball, der
sich Zentimeter um Zentimeter dem Meer näherte. „Wenn du´s genau nimmst, kannst
du das bis ins Unendliche fortsetzen. Hätte ich kein Abitur gemacht, wären
meine Eltern nie auf die Idee gekommen, zu sagen: `Studier was Vernünftiges´.
Hätten sie das nicht gesagt,
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