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Fehlschuss

Fehlschuss

Titel: Fehlschuss
Autoren: Anna Geller
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Spritze, die von zwei Männern gehalten wurde. Von
irgendwoher kam der erste Befehl „Wasser marsch!“ Niemand beachtete die
einzigen beiden Schaulustigen.
    Und dann spielte sich eine Szene ab, die so tragisch-komisch und
gleichzeitig so erschütternd war, dass Chris sie niemals vergessen würde.
    Ein dunkler Ford hielt mit quietschenden Reifen und kreisendem
Blaulicht zwischen den Einsatzwagen der Feuerwehr. Eine Frau mit zerzaustem
Haar sprang aus dem Auto und rannte über den Parkplatz direkt auf die Halle zu.
Auf halbem Weg wurde sie jedoch von einem Feuerwehrmann gestoppt. Er wirkte
unbeholfen in seinem Schutzanzug, trotzdem kam Susanne nicht an seinen
ausgebreiteten Armen vorbei.
    Das Prasseln des Feuers, die laufenden Generatoren und das Rauschen
von Tausenden Litern Wasser übertönte jedes andere Geräusch, aber Susannes
Körperhaltung war eindeutig. Sie schrie den Mann an, gestikulierte wild. Als er
mehrmals den Kopf schüttelte, schien sie das noch mehr aufzubringen. Mit
erhobenen Fäusten machte sie noch einen Versuch, an ihm vorbeizukommen, ehe er
sie packte und hochhob wie ein Püppchen.
    Karin und Chris riefen verzweifelt ihren Namen, aber sie hatten keine
Chance, sich verständlich zu machen. Mittlerweile schlug Susanne auf den
Feuerwehrmann ein und strampelte wild mit den Beinen. Hellwein kam heran,
packte sie von hinten und versuchte irgendwie, ihre trommelnden Fäuste unter
Kontrolle zu bringen.
    „Susanne!“, schrie Chris wieder. „Susanne!“ Aber es war zwecklos. Er
konnte sich selbst kaum verstehen.
    Erst als Karin gellend auf zwei Fingern pfiff, fuhren die drei
miteinander verschlungenen Personen herum. Verwirrt lockerten die Männer den
Griff, und Susanne strampelte sich frei.
    Mit hochrotem Kopf lief sie zu den beiden hin. „Ich dachte … dachte,
ihr seid … ihr seid …“, stammelte sie, „ihr seid da drin … verdammte Scheiße!“
    Dann murmelte sie etwas von „ist mir was ins Auge geflogen“ und drehte
ihnen den Rücken zu. Heftig schnaubte sie in ein Taschentuch.
    Hellwein war inzwischen herangekommen. Auch ihm stand die
Erleichterung ins Gesicht geschrieben. In stillem Einvernehmen taten die drei
so, als wäre Susanne gar nicht da.
    Als sie sich ihnen schließlich wieder zuwandte, war sie ganz die Alte.
    Sie atmete tief durch und fragte kurz angebunden: „Eickboom?“
    Chris deutete mit dem Kopf auf die brennende Ruine.
    „Mist!“
    „Er hat mir so ziemlich alles erzählt“, schaltete Karin sich ein. „Ein
paar Details bleiben offen, aber im Prinzip stimmt alles!“
    „Gut! Sehr gut! Ich brauche dann eure Aussage!“ Susanne ließ ihren
Blick über die beiden abgerissenen Gestalten gleiten und grinste. „Irgendwann —
wenn ihr wieder sauber seid.“
    Damit drehte sie sich um und ging mir schnellen Schritten zu ihrem
Wagen zurück. Hellwein folgte ihr mit einem Schulterzucken in die Richtung von
Chris.
    Karin runzelte die Stirn und sah ihnen nach. „Die Braun mit
menschlichen Zügen …“, murmelte sie.

Neununddreißig
     
    Chris kniff
die Augen gegen das grelle Sonnenlicht zusammen, das vom grünblauen Wasser
zurückgeworfen wurde. In monotoner Regelmäßigkeit bauten sich weit draußen
kleine Schaumkronen auf, rollten heran und umspülten seine nackten Füße.
    Zwei Wochen nach dem Großbrand im Industriegebiet Ossendorf hatten sie
seine Idee, damals im Labor von Karin geboren, in die Tat umgesetzt. Urlaub! Er
hatte nur auf Frankreich bestanden, und alles andere Karin überlassen. Sie kam
in ihrem Beruf so viel herum, dass sie mit Sicherheit die schönsten Fleckchen
dort kannte.
    Sie hatte etwas von „Vendée“ gemurmelt, zwei Telefonate geführt und
ein Quartier organisiert. Der Patron des kleinen Hotels strahlte bei ihrer
Ankunft über das ganze Gesicht, und seine Frau brach gar in Tränen aus, als sie
nach vier Jahren ihre „Madame Bärdoff“ wiedersah.
    Chris war nicht nur beeindruckt von der Herzlichkeit der Wirtsleute,
sondern auch von der alten Villa, deren ebenerdige Gästezimmer alle Zugang in
einen Garten hatten, den er im Stillen „Klein-Versailles“ nannte. Winzige,
akkurat beschnittene Buchsbaumhecken umschlossen üppige Rosenbeete, die frisch
geharkt und ohne jedes Unkraut waren. In der Mitte der Anlage befand sich ein
Springbrunnen, umgeben von englischem Rasen, der aussah, als werde er
regelmäßig mit der Nagelschere bearbeitet. Und jeden Abend zog der Patron mit
einem feinen Rechen die Kieswege wieder glatt, die im Laufe des Tages von
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