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Fata Morgana

Fata Morgana

Titel: Fata Morgana
Autoren: Agatha Christie
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eigenartigerweise war Carrie Louise beinahe bestürzt darüber, wenn du verstehst, was ich meine. Zu einem früheren Zeitpunkt wäre sie natürlich überglücklich gewesen. Nun aber war sie Pippa in so grenzenloser Liebe zugetan, dass sie Gewissensbisse hatte, weil sie ihr sozusagen einen üblen Streich gespielt hatte. Obendrein war Mildred, als sie dann zur Welt kam, ein durch und durch unattraktives Kind. Sie schlug den Gulbrandsens nach, die handfest und rechtschaffen waren, aber alles andere als gut aussehend. Carrie Louise gab sich so große Mühe, keinen Unterschied zwischen dem Adoptivkind und ihrer eigenen Tochter zu machen, dass sie wahrscheinlich dazu neigte, Pippa zu verziehen und Mildred zurückzusetzen. Manchmal glaube ich, Mildred hat ihr das übel genommen. Allerdings habe ich sie und die Kinder nicht oft gesehen. Pippa wuchs zu einer Schönheit heran, Mildred zu einem Mauerblümchen. Eric Gulbrandsen starb, als Mildred fünfzehn und Pippa achtzehn war. Mit zwanzig heiratete Pippa einen Italiener, den Marchese di San Severiano – doch, doch, er war ein waschechter Marchese, nicht etwa ein Abenteurer oder dergleichen. Und sie war ja so etwas wie eine reiche Erbin (sonst hätte San Severiano sie wohl auch kaum geheiratet, du kennst ja die Italiener). Gulbrandsen hinterließ seiner eigenen und seiner Adoptivtochter jeweils die gleiche Summe als Treuhandvermögen. Mildred heiratete einen Kanonikus Strete – ein netter Mensch, der aber zu Erkältungen neigte. Etwa zehn bis fünfzehn Jahre älter als sie. Eine recht glückliche Ehe, glaube ich.
    Er ist vor einem Jahr gestorben, und Mildred lebt jetzt wieder in Stonygates bei ihrer Mutter. Aber ich greife vor, ich habe die eine oder andere Heirat übersprungen. Ich komme noch darauf zurück. Pippa heiratete ihren Italiener. Carrie Louise war recht glücklich über die Verbindung. Guido hatte exzellente Manieren und sah blendend aus, und er war ein guter Sportler. Ein Jahr später bekam Pippa eine Tochter und starb bei der Geburt. Es war eine schreckliche Tragödie, und Guido San Severiano war ein gebrochener Mann. Carrie Louise fuhr ziemlich oft zwischen Italien und England hin und her, und in Rom lernte sie Johnnie Restarick kennen und heiratete ihn. Der Marchese heiratete wieder und hatte nichts dagegen einzuwenden, dass seine kleine Tochter in England von ihrer äußerst wohlhabenden Großmutter aufgezogen wurde. Also ließen sie sich alle zusammen in Stonygates nieder, Johnnie Restarick und Carrie Louise, Johnnies zwei Söhne Alexis und Stephen (Johnnies erste Frau war Russin) und die kleine Gina. Mildred heiratete bald darauf ihren Kanonikus. Dann kam die Geschichte mit Johnnie und der Jugoslawin und der Scheidung. Die Jungen kamen nach wie vor in den Ferien nach Stonygates, und sie vergötterten Carrie Louise, und dann, ich glaube 1938, heiratete Carrie Louise Lewis.«
    Mrs Van Rydock legte eine Verschnaufpause ein.
    »Du hast Lewis nicht kennen gelernt?«
    Miss Marple schüttelte den Kopf.
    »Nein, ich glaube, ich habe Carrie Louise 1928 zum letzten Mal gesehen. Sie hat mich reizenderweise nach Covent Garden ausgeführt, in die Oper.«
    »Ah ja. Also, Lewis war der ideale Ehemann für sie. Er war Chef einer sehr renommierten Wirtschaftsprüfungskanzlei. Wenn ich mich nicht irre, haben sich die beiden bei irgendwelchen Besprechungen über die Finanzierung des Gulbrandsen-Trusts und des College kennen gelernt. Er war gut situiert, etwa in ihrem Alter und ein Mann mit einem absolut honorigen Lebenslauf. Und trotzdem war er ein Spinner. Er war absolut radikal, was die Frage der Rehabilitation jugendlicher Straftäter anging.«
    Ruth Van Rydock seufzte. »Wie ich vorhin schon sagte, Jane, auch die Philanthropie hat ihre Moden. Zu Gulbrandsens Zeit war es Bildung. Davor waren es Suppenküchen –«
    Miss Marple nickte. »Ich weiß. Sülze und Kalbsbrühe, die den Kranken ins Haus gebracht wurde. Meine Mutter hat da auch mitgemacht.«
    »Ganz recht. Die Sorge um das leibliche Wohl wurde von der Sorge um die Geistesbildung abgelöst. Alle waren auf einmal ganz wild drauf, der Unterschicht eine gute Schulbildung angedeihen zu lassen. Aber auch das ist vorbei. Womöglich kommt es demnächst in Mode, die Kinder nicht mehr zur Schule zu schicken und sorgsam ihr Analphabetentum zu bewahren, bis sie achtzehn sind. Aber wie auch immer, der Gulbrandsen-Trust und der Bildungsfonds bekamen gewisse Schwierigkeiten, weil der Staat ihre Funktionen übernahm. Dann trat
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