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Fata Morgana

Fata Morgana

Titel: Fata Morgana
Autoren: Agatha Christie
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noch anpassen.«
    Ihre altjüngferliche Zuhörerin nickte sanft. Im Geist ging sie die Witwen durch, die sie in St. Mary Mead kannte oder gekannt hatte.
    »Das beste Gefühl hatte ich eigentlich, als Carrie Louise Johnnie Restarick geheiratet hat. Natürlich hat er sie wegen ihres Geldes geheiratet – zumindest hätte er sie nicht geheiratet, wenn sie keins gehabt hätte. Johnnie war ein egoistischer, vergnügungssüchtiger, fauler Luftikus, aber bei so einem ist man viel besser aufgehoben als bei einem Spinner. Johnnie war nur auf ein angenehmes Leben aus. Er wollte, dass Carrie Louise zu den besten Couturiers ging, sich Jachten und teure Autos zulegte und sich mit ihm zusammen amüsierte. Auf so einen Mann ist hundertprozentig Verlass. Gib ihm Komfort und Luxus, und er schnurrt wie ein Kater und ist ausgesprochen charmant zu dir. Seine Bühnenbildnerei und den ganzen Theaterkram hab ich nie besonders ernst genommen. Aber Carrie Louise war davon fasziniert, hielt das alles für wahre Kunst und zwang ihn, in dieses Milieu zurückzukehren. Und dann hat ihn sich diese unsägliche Jugoslawin geschnappt und ist mit ihm auf und davon. Er wollte eigentlich gar nicht mit. Wenn Carrie Louise vernünftig gewesen wäre und ein bisschen Geduld gehabt hätte, wäre er zu ihr zurückgekommen.«
    »Ist es ihr sehr nahe gegangen?«, wollte Miss Marple wissen.
    »Das ist ja das Komische. Ich glaube es eigentlich nicht. Sie hat sich in der Sache großartig verhalten – aber das liegt in ihrer Natur. Sie ist nun mal ein freundlicher Mensch. Sie konnte es kaum erwarten, sich von ihm scheiden zu lassen, damit er diese Person heiraten konnte. Hat ihm sogar angeboten, seine zwei Söhne aus erster Ehe bei sich zu behalten, weil sie es bei ihr besser hätten. Und der arme Johnnie – er hat doch tatsächlich diese Frau geheiratet, und sie hat ihn ein furchtbares halbes Jahr lang an der Nase herumgeführt und ihn dann in einem Wutanfall mit dem Auto in einen Abgrund gefahren. Ein Unfall angeblich, aber ich glaube, sie hat's aus Wut auf ihn getan!«
    Mrs Van Rydock hielt inne, nahm einen Spiegel und betrachtete forschend ihr Gesicht. Mit einer Pinzette zupfte sie sich ein Augenbrauenhärchen aus.
    »Und was macht Carrie Louise als Nächstes? Sie geht hin und heiratet diesen Lewis Serrocold. Wieder ein Spinner! Wieder ein Mann mit Idealen! Ich sage nicht, dass er ihr nicht treu ergeben ist. Aber auch er hat den Spleen, den Menschen zu einem besseren Leben verhelfen zu wollen. Und das kann nur jeder für sich selbst tun.«
    »Na, ich weiß nicht«, sagte Miss Marple.
    »Allerdings gibt es auch da Modeerscheinungen, genau wie bei den Kleidern. (Apropos, meine Liebe, hast du gesehen, was wir, wenn es nach Christian Dior geht, demnächst für Röcke tragen werden?) Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, Mode. Tja, also auch die Philanthropie hat ihre Moden. Zu Gulbrandsens Zeit war es die Bildung. Aber das ist überholt. Der Staat ist auf den Plan getreten. Heute meinen alle, sie hätten ein Recht auf Bildung – und wenn man sie ihnen anbietet, wollen sie auf einmal nichts mehr davon wissen! Jugendkriminalität – das ist der letzte Schrei. Diese vielen jungen Kriminellen und potentiellen Kriminellen. Alle haben einen Narren an ihnen gefressen. Du solltest mal Lewis Serrocolds Augen hinter seinen dicken Brillengläsern funkeln sehen. Außer sich vor Begeisterung! Er ist einer dieser Männer mit enormer Willenskraft, die sich von einer Banane und einer Scheibe Toast am Tag ernähren und ihre ganze Energie einer Sache widmen. Und Carrie Louise fällt drauf rein – wie immer. Aber mir ist da nicht wohl dabei, Jane. Die haben mit den Treuhändern verhandelt, und das ganze Anwesen wurde dieser neuen Idee geweiht. Es ist jetzt eine Ausbildungsstätte für jugendliche Kriminelle, ausgestattet mit Psychiatern und Psychologen und allem, was dazugehört. Dort leben Lewis und Carrie Louise, inmitten dieser jungen Kerle – die womöglich nicht mal ganz richtig im Kopf sind. Es wimmelt dort von Beschäftigungstherapeuten und Lehrern und Enthusiasten, und jeder Zweite von denen ist selber verrückt. Spinner, alle zusammen, und meine kleine Carrie Louise mittendrin!«
    Sie machte eine Pause und sah Miss Marple hilflos an.
    Leicht perplex sagte Miss Marple: »Aber du hast mir immer noch nicht gesagt, Ruth, wovor du nun wirklich Angst hast.«
    »Ich sage doch, ich weiß es nicht! Und das beunruhigt mich. Ich war neulich dort – auf Stippvisite. Und ich hatte
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