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Fata Morgana

Fata Morgana

Titel: Fata Morgana
Autoren: Agatha Christie
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die ganze Zeit das Gefühl, dass da was nicht stimmt. Mit der Atmosphäre, mit dem Haus. Ich weiß, dass ich mich nicht irre. Ich hatte schon immer ein Gespür für Stimmungen. Hab ich dir mal erzählt, wie ich Julius gedrängt habe, seine Amalgamated-Cereals-Aktien abzustoßen, und dann kam der Börsencrash? Hatte ich da vielleicht nicht den richtigen Riecher? Nein, nein, irgendetwas ist dort nicht in Ordnung. Aber ich weiß nicht, was oder warum, ob es diese schrecklichen jungen Straftäter sind oder ob es mehr mit ihnen selbst zu tun hat. Ich kann einfach nicht sagen, was es ist. Lewis lebt nur seinen Ideen und nimmt nichts anderes wahr, und Carrie Louise, Gott schütze sie, sieht und hört und denkt nichts, es sei denn, es ist ein schöner Anblick, ein schöner Klang oder ein schöner Gedanke. Sehr liebenswert, aber weltfremd. Es gibt auch das so genannte Böse. Jane, ich möchte, dass du möglichst bald hinfährst und rauskriegst, was da eigentlich los ist.«
    »Ich?«, rief Miss Marple. »Wieso ich?«
    »Weil du für so was eine Nase hast. Von jeher. Du warst schon immer ein liebenswertes, unschuldig wirkendes Geschöpf, Jane, aber unter dieser Oberfläche wunderst du dich über gar nichts mehr und rechnest immer mit dem Schlimmsten.«
    »Leider ist das Schlimmste oft wahr«, murmelte Miss Marple.
    »Ich weiß gar nicht, warum du so eine schlechte Meinung von der menschlichen Natur hast, in deinem netten, friedlichen Dorf da, wo alles so altertümlich und unverdorben ist.«
    »Du hast nie auf dem Dorf gelebt, Ruth. Du würdest dich wundern, was sich in einem unverdorbenen friedlichen Dorf so alles tut.«
    »Schon möglich. Aber ich rede ja davon, dass du dich nie wunderst. Du fährst doch nach Stonygates und versuchst rauszukriegen, was da nicht stimmt, nicht wahr?«
    »Aber liebste Ruth, das dürfte höchst schwierig zu bewerkstelligen sein.«
    »Nein, durchaus nicht. Ich hab mir alles genau überlegt. Ich hoffe, du bist mir nicht böse, aber ich habe schon die nötigen Hebel in Bewegung gesetzt.« Mrs Van Rydock hielt inne, warf Miss Marple einen nervösen Blick zu, zündete sich eine Zigarette an und stürzte sich in eine Erklärung. »Du wirst doch sicher zugeben, dass es hierzulande manche Leute seit dem Krieg nicht leicht haben, Leute mit einem eher kärglichen Einkommen – ich meine damit Leute wie dich, Jane.«
    »Allerdings. Ohne die gütigen, die überaus gütigen Zuwendungen meines Neffen Raymond wüsste ich wirklich nicht, wie ich zurechtkommen sollte.«
    »Lassen wir deinen Neffen aus dem Spiel«, sagte Mrs Van Rydock. »Carrie Louise weiß nichts von deinem Neffen, oder wenn doch, dann kennt sie ihn als Schriftsteller und hat keine Ahnung, dass er dein Neffe ist. Der springende Punkt, habe ich zu Carrie Louise gesagt, der springende Punkt ist, dass einem die liebe Jane wirklich Leid tun kann. Sie hat manchmal buchstäblich nicht genug zu beißen und ist natürlich viel zu stolz, um sich jemals an gute alte Freunde zu wenden. Geld, sagte ich, kann man ihr auf keinen Fall anbieten – aber vielleicht einen längeren, geruhsamen Aufenthalt in einer hübschen Umgebung, bei einer alten Freundin, wo sie gut und reichlich verpflegt wird.« Ruth Van Rydock machte eine Pause und fuhr dann trotzig fort: »So. Jetzt kannst du böse auf mich sein, wenn du unbedingt willst.«
    Miss Marple riss in gelindem Erstaunen ihre porzellanblauen Augen auf. »Aber warum sollte ich böse auf dich sein, Ruth? Ein sehr geschickter, plausibler Vorschlag. Bestimmt ist Carrie Louise darauf eingegangen.«
    »Sie wollte dir schreiben. Du wirst den Brief zu Hause vorfinden. Mal ehrlich, Jane, du findest wirklich nicht, dass ich mir eine unverzeihliche Freiheit herausgenommen habe? Du hast nichts gegen –«
    Sie zögerte, und Miss Marple fasste ihre Gedanken geschickt in Worte.
    »- einen Aufenthalt in Stonygates als Objekt der Nächstenliebe, mehr oder weniger unter falschen Voraussetzungen? Aber nicht das Geringste – wenn es notwendig ist. Deiner Meinung nach ist es notwendig, und ich bin geneigt, dir zuzustimmen.«
    Mrs Van Rydock starrte sie an. »Nanu? Hast du was gehört?«
    »Nein, ich habe nichts gehört. Aber du bist dir deiner Sache so sicher. Und Gespenster zu sehen ist einfach nicht deine Art.«
    »Nein, aber ich habe auch nichts Konkretes in der Hand.«
    »Das erinnert mich«, sagte Miss Marple nachdenklich, »an einen Sonntagmorgen in der Kirche, es war der zweite Adventssonntag. Ich saß hinter Grace Lamble, und
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