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Faszination Menschenfresser

Faszination Menschenfresser

Titel: Faszination Menschenfresser
Autoren: Mario Ludwig
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eingingen, im damaligen Britisch-Ostafrika (heute Kenia) getötet haben. Die beiden männlichen Löwen, die übrigens wie alle Löwenmänner dieser Gegend keine Mähne ausgebildet hatten, drangen vor allem immer wieder nachts in ein Camp von Arbeitern ein, die im Auftrag der britischen Krone eine Eisenbahnbrücke über den Tsavo-Fluss bauen sollten. Die Raubkatzen richteten unter den Arbeitern, die meist indischer Herkunft waren, ein fürchterliches Blutbad an: In neun Monaten fielen, so will es zumindest die Legende, 135 Menschen den »Teufeln in Löwengestalt« zum Opfer. Obwohl die Eisenbahnarbeiter Wachtposten aufstellten und versuchten, ihr Camp mit Dornenzäunen löwensicher zu machen, töteten die beiden Menschenfresser einen Campbewohner nach dem anderen. Die beiden Killerlöwen verbreiteten unter den Eisenbahnarbeitern derart Angst und Schrecken, dass die meisten Arbeiter aus dem Camp flohen und die Bauarbeiten daher völlig zum Erliegen kamen. Aufgrund ihres Terrorregimes wurde den beiden Raubkatzen sogar die große Ehre zuteil, vom britischen Premierminister in einer Rede vor dem Unterhaus erwähnt zu werden. Erst nach zahllosen Fehlversuchen konnte der Chefingenieur des Lagers, der britische Oberstleutnant John Patterson, der als Soldat in Indien Erfahrung mit der Jagd auf Tiger gemacht hatte, die beiden Killerlöwen zur Strecke bringen. Am 9. Dezember 1898 gelang es Patterson, zunächst eine der mörderischen Raubkatzen von einem behelfsmäßigen Hochsitz aus zu erlegen. Drei Wochen später schaffte es Patterson dann auch, nach zähem, nächtelangem Kampf den zweiten Löwen zu erlegen. Der Kadaver wies nicht weniger als sechs Schusswunden auf.
    Der erste Löwe soll über drei Meter lang gewesen sein. Zumindest behauptet das Patterson in seinen preisgekrönten Memoiren Die Menschenfresser von Tsavo . Angeblich soll der Löwe so schwer gewesen sein, dass acht Mann nötig waren, um seinen Kadaver ins Lager zu bringen. Die Felle der Originallöwen verkaufte Patterson 1924 für die damals beachtliche Summe von 5000 Dollar nach Chicago, wo sie heute ausgestopft im »Field Museum of Natural History« in Chicago als Attraktion der ständigen Ausstellung zu bewundern sind.
    Nach Ansicht der Wissenschaft waren gleich mehrere Faktoren dafür verantwortlich, dass sich die Löwen von Tsavo auf Menschenjagd begeben haben. Zum einen waren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zahlreiche Sklavenkarawanen durch das Tsavo-Gebiet gezogen und hatten mehr als 80 000 Kranke oder Tote als leichte Beute für die Löwen am Rande der Sklavenroute zurückgelassen. Eine schwere Pockenepidemie und die darauf folgende Hungersnot, während der die Leichen der Opfer oft tagelang nicht beerdigt wurden, trugen ebenfalls dazu bei, dass sich die großen Raubkatzen an den Geschmack von Menschenfleisch gewöhnten. Zumal ihnen aus Mangel an anderer Nahrung oft gar keine Wahl blieb, denn zwischen 1891 und 1893 hatte ein verheerender Ausbruch der Rinderpest südlich der Sahara Millionen von Büffeln, Zebras, Giraffen, Antilopen und anderen Wildtieren dahingerafft. Daraufhin mussten sich die Löwen zwangsläufig nach anderen Nahrungsquellen umsehen, wodurch es viel häufiger zu Angriffen auf Menschen kam.
    2009 konnten Forscher der University of California in Santa Cruz mittels Hightech-Analysen nachweisen, dass den menschenfressenden Löwen von Tsavo nicht, wie in der Vergangenheit immer wieder behauptet, weit über 100 Menschen zum Opfer gefallen sind, sondern sie wahrscheinlich »nur« etwa 35 Menschen auf dem Gewissen haben.
    Die amerikanischen Wissenschaftler nahmen von den beiden Tsavo-Löwen Haar- und Knochenproben und bestimmten die sogenannten Isotopenverhältnisse von Stickstoff und Kohlenstoff. Aus dem Verhältnis der Isotope, das sich bei Mensch und Tier unterscheidet, konnten die Wissenschaftler nämlich Rückschlüsse auf die Ernährung der Raubkatzen in den letzten Monaten ihres Lebens ziehen. Durch den Vergleich der Tsavo-Proben mit Proben von anderen Löwen, aber auch von Zebras, Büffeln und Gnus sowie mit Proben von aus dem 19. Jahrhundert stammenden Überresten menschlicher Leichenteile fanden die Wissenschaftler heraus, dass die immer wieder behauptete Zahl von 135 Opfern der Tsavo-Löwen bei Weitem zu hoch gegriffen sein muss. Die Auswertung der Haarproben zeigte nämlich, dass sich der im Museum unter der Nummer FMNH 23 970 registrierte Tsavo-Löwe in den letzten Monaten seines Lebens etwa zur Hälfte von
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