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Farben der Schuld

Farben der Schuld

Titel: Farben der Schuld
Autoren: Gisa Klönne
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hat der Zeuge vielleicht recht, wir suchen einen Ritter …«
    »Wie lange ist er schon tot?«, fragt Manni, auch wenn er wenig Hoffnung hat, dass diese immer gleiche Frage zufriedenstellend beantwortet wird. Doch hin und wieder, obwohl man sich natürlich keineswegs darauf verlassen kann, geschehen noch Wunder.
    »Etwa vier Stunden«, erwidert die Rechtsmedizinerin nach einem Blick auf ihr Thermometer.
    »Die Stunde der Abrechnung«, sagt Meuser leise.
    »Wie bitte?«
    »Mitternacht, der Übergang zum Aschermittwoch. Man klagt Strohpuppen an und verbrennt sie, lässt sie für alle Sünden büßen.«
    »Der hier wurde aber nicht verbrannt«, widerspricht Manni und gestattet sich einen Blitzgedanken an Sonja, die sich jetzt gerade irgendwo in einem blaugrün schillernden Nixenfummel ohne ihn amüsiert, sicher zur Freude sämtlicher Kerle, die auf eine schnelle Nummer aus sind.
    »Er wurde nicht verbrannt, aber er wurde exakt zum Ende der Karnevalszeit ermordet. Und dann diese Haltung: Wie Jesus am Kreuz …«
    Ekaterina Petrowa hebt den Schädel des Toten an und begutachtet eine Platzwunde am Hinterkopf.
    »Er ist niedergeschlagen worden«, folgert Manni.
    »Oder die Schädelverletzung stammt vom Sturz. In jedem Fall ist sie frisch.« Sanft lässt die Russin den Kopf zurück aufs Pflaster gleiten, untersucht die Hände des Toten, betastet die Ärmel der Soutane. »Keine Abwehrverletzungen, soweit ich das vor der Obduktion erkennen kann.«
    »Der Mörder war schnell.« Manni versucht sich den Tathergang vorzustellen. »Er überrascht sein Opfer, rammt ihm Schwert oder Messer in die Brust …«
    »Der Priester lag auf dem Rücken, als der Täter zustach«, widerspricht Ekaterina Petrowa. »So wie das Blut ausgelaufen ist, vermute ich, dass es so war.«
    »Er fällt also und verliert das Bewusstsein.«
    Die Rechtsmedizinerin wiegt den Kopf hin und her. »Nicht unbedingt.«
    »Er muss bewusstlos gewesen sein. Verteidigung ist ein Reflex. Selbst ein Priester liegt doch nicht einfach da und lässt sich töten.«
    »Seine Augen sind offen«, sagt Ralf Meuser leise. »Als sehe er seinen Mörder an.«
    »Warum hat er sich dann nicht gewehrt?«
    »Vielleicht war er zu geschockt. Vielleicht kannte er seinen Mörder.«
    MÖRDER. Wieder starrt Manni die Botschaft an. Es wird Ärger geben, denkt er. Druck, Hysterie, Komplikationen, vor allem, wenn dieser Mann hier tatsächlich ein katholischer Priester ist. Er checkt seine Armbanduhr, es ist schon bald fünf, auch wenn vom Tageslicht noch nichts zu sehen ist.
    An der Polizeiabsperrung entsteht Unruhe, jemand ruft. Manni fährt herum, braucht einen Moment, um zu begreifen, dass das, was er dort sieht, keine optische Täuschung ist. Eine Prozession Nonnen, dunkel gewandet mit weißen Hauben, ist aufmarschiert und sieht zum Tatort hinüber. Stumm und würdevoll, als seien sie gekommen, um zu kondolieren.
    ***
    Das letzte Frühstück mit zu dünnem Kaffee und zu weichem Brot. Der letzte Weg zurück ins Krankenzimmer, durch den verglasten Flur, dann mit dem Aufzug zwei Stockwerke hoch. Draußen wird es gerade erst dämmrig. Auf dem Rhein fährt ein Schiff, auf der Straße daneben Autos. Aus der Distanz der Rehaklinik betrachtet, sind sie nicht mehr als Lichtpunkte vor den Konturen des Siebengebirges, Signale von Menschen mit einem Ziel: Den Arbeitsplatz, den Kinderhort, ein Einkaufszentrum – Alltagsorte, deren Besuch sich im Laufe eines Tages zu Leben addiert. Judith geht zum Waschbecken, putzt sich die Zähne, steckt ihren Kulturbeutel in die Reisetasche, die sie bereits am Vorabend gepackt hat. Das Zimmer wirkt nun wieder leer, unpersönlich, bereit für den nächsten Patienten. Sie holt das T-Shirt aus der Tasche, das Manni ihr im Namen der Kollegen überreichte. Vor ein paar Wochen schon, als sie noch in einem Nebel von Medikamenten dahinschwebte. Als sie noch Blumen brachten und ihr versicherten, dass sie richtig gehandelt habe, keine Alternative gehabt hätte, dass niemand ihr einen Vorwurf mache.
    Doch sobald die Ärzte sie einigermaßen zusammengeflickt hatten, begannen die Fragen. Warum sind Sie allein in dieses Haus gegangen, KHK Krieger? Warum haben Sie keine Verstärkung angefordert? Warum haben Sie sich den Anweisungen Ihres Vorgesetzten widersetzt? Fragen, Fragen, Fragen, immer wieder dieselben Fragen der ermittelnden Polizeibeamten. Judiths Antworten genügten ihnen nicht, verwandelten sich, noch während Judith sprach, in Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen.
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