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Farben der Schuld

Farben der Schuld

Titel: Farben der Schuld
Autoren: Gisa Klönne
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wirklich brauchbaren Hand, in der Klinik hat sie das nicht so sehr bemerkt, weil es wenig zu tun gab, außer sich auf den Heilungsprozess zu konzentrieren.
    Die Reisetasche wird mit jedem Schritt schwerer, die Stufen erscheinen Judith höher als früher, die Treppe selbst viel steiler.
    Laufen Sie, hat der Priester Warnholz ihr geraten. Bewegen Sie sich. Sie haben ein Trauma erlitten. Bewegung baut Stresshormone ab. Judith beginnt zu schwitzen. Den Handlauf auf der rechten Seite der Treppe kann sie nicht benutzen, weil sie mit dieser Hand die Tasche trägt. Auf einmal hat sie das Gefühl zu schwanken, das Gleichgewicht zu verlieren und ihre Knie beginnen zu zittern. Sie lässt ihre Tasche im ersten Stock auf den Boden plumpsen, stützt sich aufs Geländer. Drei weitere Stockwerke muss sie noch schaffen. Vielleicht hätte sie doch das Angebot annehmen sollen, den Klinikaufenthalt zu verlängern. Einfach noch ein Weilchen weiter im seligen Vakuum dahin-driften und Tabletten einnehmen, wenn die Erinnerungen sie quälen. Aber das wäre falsch, feige, keine Lösung auf Dauer. Sie will die Erinnerung an dieses Haus nicht so stehen lassen, sie will nicht, dass sie sich dauerhaft festsetzt. Sie will Distanz von ihr, will wieder ermitteln, ihr Leben weiterführen. Ich schaffe das schon, ermutigt Judith sich stumm. Ich krieg das schon hin.
    Ihre Wohnung riecht nach kaltem Rauch, bringt das Verlangen nach einer Zigarette zurück. Auf dem Küchentisch steht ein großer Strauß roter und violetter Tulpen, daneben stapelt sich ihre Post. Cora, liebe Freundin. Sie muss gestern Abend noch hier gewesen sein, vor ihrer Dienstreise nach Amsterdam. Judith lächelt und öffnet das Küchenfenster. Zuerst war sie viel zu schwach, um auch nur ans Rauchen zu denken. Aber nach ihrer ersten Entlassung aus dem Krankenhaus hat sie wieder angefangen. Und wieder aufgehört, als sie erneut in die Klinik musste. Sie hatte gehofft, dass das Thema damit erledigt wäre, dass es ihr nun zumindest leichter fiele, nicht wieder anzufangen. Ein idiotischer Wunsch, nichts als Illusion. Sie füllt ein Glas mit Leitungswasser, drängt die Gedanken an das Tabakpäckchen in der Küchentischschublade beiseite. Setzt sich und blättert durch ihre Post. Rechnungen. Formulare und Mitteilungen von ihrer Krankenkasse. Ein Brief vom Polizeipräsidium. Sie reißt ihn auf, überfliegt ihn. Es gibt weitere Fragen an sie. Fragen, von denen sie jetzt schon weiß, dass sie sie nicht befriedigend beantworten kann.
    Judith wirft den Brief auf den Krankenkassenstapel. Blättert durch die Werbeprospekte, findet dazwischen einen Briefumschlag aus sehr feinem Leinenpapier, ihre Adresse darauf ist mit Tinte in gestochener, altmodisch wirkender Handschrift geschrieben. »Dr. Volker Ludes, Rechtsanwalt«. Der Absender ist nicht gestempelt, sondern in die Rückseite des Briefumschlags geprägt. Vielleicht irgendein Wichtigtuer, der sich ihr als Strafverteidiger empfehlen will und ihre Adresse von einem wohlmeinenden Kollegen aus der Mordkommission bekommen hat.
    Judith schiebt den Briefumschlag beiseite. Es war Instinkt, der sie in das Haus getrieben hat. Instinkt, Bauchgefühl, eine Ahnung – doch wie erklärt man das? Ich kann das nicht erklären, denkt sie. Und ich habe auch keine Lust dazu.
    ***
    Manchmal hat man Glück mit Zeugen. Manchmal erzielt man Erfolge durch pure Hartnäckigkeit. Hin und wieder gibt es eine späte Überraschung, die alles verändert. Erwin Bloch jedoch, der bislang einzige Zeuge der Soko Priester, ist ihnen auch in ausgenüchtertem Zustand alles andere als eine Hilfe. Äußerst widerwillig lenkt er seine Aufmerksamkeit vom TV-Gerät über seinem Krankenhausbett auf Manni. Nur stures Nachbohren fördert ein paar Fakten zutage. Magere Fakten: Bloch wollte im Kirchenpark pinkeln. Wie aus dem Nichts tauchte dann ein Ritter mit Schwert vor ihm auf und warf Bloch zu Boden. Bloch hatte Schmerzen, konnte sich nicht mehr bewegen. Er hatte große Angst und wurde ohnmächtig. Irgendwann kam er wieder zu sich und rief in seiner Stammkneipe an, und von dort schickten sie einen Krankenwagen und die Sanitäter entdeckten den toten Priester und informierten die Polizei.
    Schluss, Ende, aus. Vom Mord hatte er nichts mitbekommen. Den Ritter kann er nicht beschreiben. Wie ein dämlicher Anfänger kommt Manni sich vor, als er zurück ins Präsidium fährt. Er holt sich einen Pott Kaffee und trinkt ihn im Stehen, starrt dabei aus dem Fenster des Büros, das er sich mit Holger
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