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Falscher Ort, falsche Zeit

Falscher Ort, falsche Zeit

Titel: Falscher Ort, falsche Zeit
Autoren: Walter Mosley
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waren?
    »Geh nach hinten und schneid ihn los«, sagte Shell.
    Der Riese durchtrennte das Klebeband, mit dem ich gefesselt war. Dann zeigte er mir einen Revolver mit langem Lauf, ein Anachronismus in der Hand eines Höhlenmenschen.
    »Wenn du Scheiße baust, Kumpel«, sagte er, »verpass ich dir die ganze Runde.«
    Ich nickte und drückte mich mit einem Liegestütz vom Boden im Fond des Wagens hoch.
     
    Am Tor des alten Quäker-Friedhofs war eine Gegensprechanlage. Der letzte Leichnam war vor einem knappen Jahrhundert hier bestattet worden. Besucher kamen nur selten, und die wenigen machten vorher einen Termin.
    Ich drückte auf den Knopf.
    » LT ?«, fragte Hush unter Knistern und Rauschen.
    »Hey, Bren«, sagte ich. »Ich hab zwei Typen dabei, die dem Mädchen vielleicht helfen können.«
    »Komm rein«, krächzte die elektronische Stimme.
    Das Tor rollte auf.
    Als ich wieder auf der Rückbank Platz nahm, setzteShell sich neben mich und drückte mir den Lauf seiner Waffe in die Seite. Die Spannung im Wagen war mit Händen zu greifen. Ich hatte Angst, dass er mich umlegen würde, bevor wir Hush erreichten, und dass Hush sie vor meinen Augen niedermetzeln würde, wenn wir es bis zu ihm schafften. Die beiden hatten Angst vor dem unbekannten Weg, der vor ihnen lag. Zweifelsohne in Sandra Sandersons Auftrag hatte Shell den Job mit Angie schon drei Mal vermasselt. Es war dem Gangster nicht gelungen, sie einzuschüchtern. Die Männer vor ihrem Haus hatten sie offensichtlich nicht ergreifen können, und später hatte der Killer, den er engagiert hatte, sein Ziel ebenfalls verfehlt.
    Der Wagen rollte über das von stummen Kiefern gesäumte Kopfsteinpflaster bis zu einer steinernen Kapelle am Ende der Fahrspur. Wir stiegen aus. Leo ging voran, Shell, die Pistole an meine Wirbelsäule gedrückt, hinter mir.
    Im Wald stieß irgendein Vogel einen erstickten Schrei aus, als wir auf der einsamen halbrunden Einfahrt vor dem stillen gelb-weißen Gemäuer standen.
    Eine halbe Minute verstrich.
    »Rufen Sie ihn an«, zischte Shell.
    »Hey, Sie!«, rief jemand von rechts.
    Der Druck auf meine Wirbel löste sich, und ich hörte ein lautes Plopp.
    Shell sank stöhnend zu Boden.
    »Was?«, grunzte Leo und schwenkte seinen altmodischen Revolver nach rechts.
    Ein weiteres Plopp, und der behaarte Mann sank auf die Knie, während eine Art kleines weißes Kissen vonihm abprallte. Eine weitere flauschige Ladung traf sein Zwerchfell, bevor er Shell in seiner schmerzhaften Halbbewusstlosigkeit Gesellschaft leistete.
    »Hey, LT «, sagte Hush und trat aus der Deckung der Bäume. In der Hand hielt er eine Art Mini-Bazooka. »Die werden in Taiwan bei Massendemonstrationen eingesetzt. Ein Schuss reicht, um einen normalen Menschen matt zu setzen.«
    Er ging zu den gefallenen Männern und fesselte sie an Händen und Füßen mit Kabelbindern. Wir zerrten sie in die Kapelle und dann runter in den Keller, wo wir sie hinter einer schweren Eichentür sicher verstauten.
    Leo wog mindestens zwei Zentner, aber ich bin ein trainierter Halbschwergewichtler, und Hush ist viel kräftiger, als er aussieht.
     
    Hush führte mich in ein Büro im ersten Stock des alten Gebäudes. Durch die ungetönten, schmutzigen Fensterscheiben fiel reichlich Sonnenlicht in den Raum. Mein Retter gab mir einen Erste-Hilfe-Koffer und ein Gläschen Brandy.
    Nachdem ich mein Gesicht versorgt und den Schnaps getrunken hatte, berichtete ich Hush, was ich wusste.
    »Du hättest Patrick umbringen sollen«, lautete seine erste Bemerkung.
    »Er hat mein Gesicht nicht deutlich gesehen.«
    »Aber Rinaldo hat eine Spur hinterlassen, als er ihn verhaften ließ. Womöglich spürt er dich so irgendwann auf. Du weißt, dass das kein Spiel ist, LT . Man kann nicht einfach eine Figur vom Brett nehmen, und die bleibt dann in der Kiste. Diese Leute sind Mörder, fehlbare Menschen, die auf Geld und Rache aus sind.«
    »Wie lange können wir die da unten einschließen?«, fragte ich, um das Thema zu wechseln.
    »Ike hat den Friedhof für ein paar Tage geschlossen«, sagte Hush. »Er wird den Arbeitsplatz wechseln müssen, es sei denn, du hast Bedarf für die leere Krypta auf der Nordseite.«
    »Ich dachte, du hättest das Morden aufgegeben.«
    »Ich hab auch niemanden ermordet, oder?«
    Das quittierte ich mit einem trockenen Grinsen.
    »Aber darf ich dich trotzdem was fragen?«, sagte er.
    »Was denn?«
    »Wie tief willst du dieses Loch noch graben, bevor du dich darin beerdigen
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