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Falscher Ort, falsche Zeit

Falscher Ort, falsche Zeit

Titel: Falscher Ort, falsche Zeit
Autoren: Walter Mosley
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französischen Stuhl aus dem 17. Jahrhundert und sah sich in dem Raum um, während ich auf meinem Lieblingsplatz hockte, einem aus Lavastein gehauenen Stuhl, der in präkolumbianischer Zeit als Opferaltar gedient hatte.
    »Mr. McGill?«, sagte Alphonse Rinaldo. Wenn man ihn nicht kannte, hätte man die Drohung vielleicht gar nicht wahrgenommen.
    »Sandra Sanderson, die Dritte«, erwiderte ich.
    »Oh.«
    »Wer?«, fragte Angie.
    »Mr. McGill hat mich über Ihre Lage informiert«, sagte Rinaldo sehr sanft und verständnisvoll. »Er hat mir Ihr Problem vorgetragen, und ich habe beschlossen, es zu lösen. Wenn Sie uns bitte ein paar Minuten entschuldigen würden, Tara?«
    »Das verstehe ich nicht, Mr. Brown. Was haben Sie mit alldem zu tun?«
    »Das erkläre ich Ihnen, nachdem Mr. McGill und ich uns beraten haben. Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten, während Sie warten?«
    »Ich habe noch nicht gefrühstückt.«
    Rinaldo nahm den Hörer seines Telefons ab und wartete einen Moment, bevor er sagte: »Mr. Latour, die junge Dame in meinem Büro braucht ein Frühstück. Nehmen Sie ihre Bestellung auf. Mr. McGill und ich sind in der Bibliothek.«
    »Kommen Sie, Mr. McGill.«
    Er stand auf, und ich folgte ihm in eine schattige Ecke auf der Nordseite seines Büros. Dort gab es eine Tür, die in ein geräumiges Zimmer führte, dessen Wände mit Bücherregalen bedeckt waren. In der Mitte des Raums standen ein Rauchtisch und vier mit rotem Samt gepolsterte Stühle.
    »Setzen Sie sich.«
    Das tat ich. Es fühlte sich wirklich gut an zu sitzen,als ob ich extrem erschöpft und mir des Ausmaßes dieser Erschöpfung bis zu diesem Moment nicht bewusst gewesen wäre.
    »Schicker Anzug«, sagte Rinaldo.
    »Ja. Meine Frau hat ihn mir gekauft. Anfangs habe ich ihn gehasst. Aber so langsam fängt er an, mir zu gefallen.«
    »Ich habe Sie ausdrücklich angewiesen, nicht mit Tara zu sprechen.«
    »Manchmal muss ein guter Agent eigenständige Entscheidungen treffen.«
    »Sie hätten mich anrufen und fragen sollen, bevor Sie eine solche Maßnahme ergreifen.«
    »Für einen Anruf blieb keine Zeit.«
    »Sie hätten sie nicht zu mir bringen dürfen.«
    »Es ist der einzige Ort, von dem ich sicher annehme, dass sie dort nicht umgebracht wird.«
    Er sagte nichts, sondern schlug die Beine übereinander, das rechte über das linke.
    Einen Augenblick lang stand meine Zukunft infrage. Ich hatte Befehle missachtet. Selbst in seiner geschwächten Position war er jener Löwe im Käfig und ich nur ein bloßer Sterblicher auf der falschen Seite der Gitterstäbe.
    »Erzählen Sie«, sagte er schließlich.
    Ich legte ihm alles dar. Ich erzählte ihm von den Angreifern, sechs an der Zahl, und ihren Drohungen, von Shell und Leo, die in einem Friedhof in Queens eingesperrt waren, und von Sandra Sandersons offenkundiger Verwicklung in die Sache. Ich erklärte ihm, dass ich entschieden hatte, die einzige Möglichkeit das Problem anzugehen sei, Angie als meine Klientin an die erste Stelle zu setzen.
    Er lauschte meiner Geschichte sehr aufmerksam.
    Wenn wir sonst miteinander sprachen, hatte er es meistens eilig. Entweder der Botschafter einer ausländischen Nation oder ein hartnäckiger Milliardär wartete im Vorzimmer auf eine Audienz. Aber an jenem Tag hätte ich stundenlang reden können.
    »Ihr Vorgehen belastet unsere Beziehung, Leonid«, sagte er, als ich fertig war. »Auch wenn ich froh über den Ausgang bin, werde ich Ihnen in Zukunft nicht mehr vorbehaltlos vertrauen können.«
    »Dürfte ich fragen, was genau ich hier eigentlich gemacht habe?«, sagte ich. Es gab keinen Grund, verlorenem Einfluss nachzutrauern.
    »Sie wissen, dass ich dem Rathaus unterstellt bin«, sagte er. »Nicht dem Bürgermeister direkt, aber wir kennen uns gewissermaßen. Diese inoffizielle Position wurde vor langer Zeit geschaffen, um dafür zu sorgen, dass alles glattläuft, ohne Aufmerksamkeit auf die dafür notwendigen Maßnahmen zu lenken. Ich bin das, was man einen Chefbürokraten mit Zähnen nennen könnte. Als ich diesen Posten antrat, war ich … nervös. Ich muss meine Entscheidungen häufig alleine treffen, ohne fremden Rat oder Kritik. Ich war unsicher … Dienstags und donnerstags vormittags ging ich immer in ein Diner in der Nähe. Angelique war damals siebzehn und Kellnerin. Ihr erster Vorname war zu lang für ihr Namensschild, deshalb benutzte sie den Namen Tara. Wir haben uns unterhalten. Diese Gespräche haben mich entspannt. Sie hat mir das Gefühl gegeben,
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