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Fallkraut

Fallkraut

Titel: Fallkraut
Autoren: Lucette ter Borg
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die Blumenerde.
    Das Meissener Service ist ein Hochzeitsgeschenk von Papa gewesen. Gott gebe seiner trägen Seele Frieden. Mehr als vierzig Jahre lang ist es mir gelungen, die Tassen nebst Untertassen, das Milchkännchen und die Zuckerdose, die Kuchenteller und die Frühstücksteller unversehrt zu erhalten. Nie ist mir auch nur eines davon aus den Händen geglitten. Nie ist irgendwo etwas ab­gesplittert. Darauf kann man schon stolz sein.
    Bereits als Dreijähriger hat mein Otto gewusst, dass er seine Griffel von dem Meissener lassen sollte und dass das Service nur an Feiertagen aus dem Büfett geholt wurde. Außer im Krieg. Da habe ich jedes Stück in Zeitungspapier gewickelt und das Service in einem Karton runter in den Keller gestellt. Vorsichtshalber.
    Fünf Jahre lang.
    Man konnte ja nie wissen, wo eine Granate einschlägt.
    In den Wäscheschrank nämlich, der im Schlafzimmer steht. Karel wollte den Schrank nie wegwerfen, obwohl ich finde, dass das kein Anblick ist, diese Löcher, durch die man die ganze Bügelwäsche sieht. Der Schrank mit Granatsplittern, sagte Karel, helfe ihm jeden Tag, sich daran zu erinnern, was der Krieg in unserem Haus bedeutet hatte und was die Sieger auch alles angerichtet hatten.
    Nun bleibt der Wäscheschrank eben.
    Â»Wenn man alles im Büfett stehen lässt, kann auch nie etwas kaputtgehen.« Das sagt Sigrid. Sie betrachtet die Dinge von der praktischen Seite. Sie kann nicht anders. Wegen ihrer stressigen Arbeit geht es bei ihr zu Hause in Hengelo ein bisschen larifari zu. Das bedeutet immer irgendwelches Zeug auf dem Sofa, Nässe auf der Spüle, Flaschen, denen der Verschluss fehlt, und ein Haufen leerer Klopapierrollen in dem Körbchen neben der Toilette. Für nichts einen Blick. Nur angeschlagenes Geschirr im Schrank.
    Schwager Sjors macht das verrückt. »Aber Mund halten, ja«, flüstert er.
    Ich finde es herrlich, das Silber, die Gläser, die ver­zierten Teller, die Wasserhähne über der Spüle und die Schrankgriffe zu putzen, bis sich alles spiegelt. Zeug, das durchs offene Fenster, den Schornstein, zwischen den Dachspar­ren hereinweht, Schmutz, der am Schuh kleben bleibt: nicht in meinem Haus. Saubermachen ist mir nie zuwider gewesen. Schon als Kind habe ich Mama gern in der Küche, beim Wäschewaschen, Bettenbeziehen und Kaffeekochen geholfen.
    Wer kochte den leckersten Kaffee der Welt? Unsere Tine!
    Es sollte besser alles aufgeräumt sein.
    Findet Sigi auch. Warum sitzt sie sonst so gern an meinem Küchentisch? Sie isst von dem dampfenden Apfelkuchen, den ich gerade aus dem Ofen geholt habe. Und noch ein Stück und noch ein Stück. Warum nicht?
    Â»Ich habe noch ein kleines Loch frei«, sagt sie. Sigrid hat einen Mund, der nie stillsteht, einen, der immer mit Tratsch gefüllt ist. Wer im Orchester seinen Schabernack mit ihr getrieben hat, wer seinen Part nicht gut gespielt hat, wer in der Garderobe wem an den Hintern gefasst und wer es gesehen hat. Gemütlich, so ein bisschen Leben in der Bude.
    Und dünn wie eine Bohnenstange, trotz der ganzen Schlemmerei. Glückspilz. Hat sie von Papa. Der hatte auch immer dreimal am Tag Stuhlgang.
    So grübelte ich vor mich hin, gestern beim Teekochen.
    Nun aber hopp. An die Arbeit. Es war mein letzter Tag zu Hause.
    Sigrid hat mich zu einem kleinen Urlaub eingeladen. Jawohl. Nicht, dass sie für mich bezahlen würde, wir werden alles gerecht teilen. Eine Reise am Rhein entlang. Weinberge, Terrassen und lachende Gesichter, Burgen und Schlösser.
    Sigrid und ich zusammen, genau wie früher. In einem Zimmer, in einem Bett, obwohl ich nicht weiß, ob wir da noch reinpassen.
    Sigrid würde sich um alles kümmern, hat sie gesagt. Sie habe alles geplant. Ich bräuchte nur hinter ihr herzulaufen und auf meine Handtasche aufzupassen.
    Karel reiste nicht gern, auch wenn er das Gegenteil behauptete. In ihm stecke ein Globetrotter, der herausmüsse, meinte er. Und dann schlug er sich kräftig auf die Stelle, wo ungefähr sein Herz saß. Aber ich habe nichts von diesem Weltreisenden bemerkt, die ganzen Jahre nicht, in denen wir verheiratet waren. Karel wurde eher unglücklich von Geschichten über fremde Straßen, Gegenden und Gewohnheiten. Die gefrorenen Wälder um Sonnenberg, die Kälte beim Eishacken an der Pumpe im Winter und im Frühling das blühende Fallkraut, das die Felder in gelbe Tischdecken
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