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Fallkraut

Fallkraut

Titel: Fallkraut
Autoren: Lucette ter Borg
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sich am besten wiegen sollte? Wenn sie sich so viel damit beschäftigt, warum sehe ich dann nie einen Unterschied? Warum gelingt es ihr nie, auch nur ein Pfund loszuwerden? Dann könnte sie wenigstens Treppen steigen, ohne dass die Mauern in ihren Grundfesten erzittern. Dann könnte sie einkaufen – einfach einen Fuß vor den anderen –, ohne zu schnaufen wie ein Nilpferd. Dann bekäme man wenigstens ein bisschen Sicht auf das, was früher einmal eine Taille gewesen ist.
    Warum kneift sie nicht in das Fett an ihrem Bauch und ihren Schenkeln, das sie sich in all den Jahren mit Schnitzeln in Jägersauce, Knödeln und Buttererbsen mit Zucker angefuttert hat?
    Früher dagegen. Wenn Valentine ein Rad schlug, zog die Welt ihre Tanzschuhe an. Und wenn sie, gar nicht einmal so viel später, auf dem Sprungbrett im Schwimmbad von Boekelo stand, die Arme über dem Kopf streckte und sich abstieß, dann hielten alle, Väter und Söhne, Mütter und Töchter, die sich auf dem Rasen sonnten, picknickten oder Federball spielten, in ihrem Tun inne und schauten auf das, was da durch die Luft schwebte. Ein Vogel in einem rotgestreiften Badeanzug war Valentine. Ihre dunklen Locken hüpften in der Sonne.
    Niemand wusste, was für ein leichtes Ziel dieser Vogel darstellte. Aber ich schon. Ich machte aus meiner rechten Hand eine Pistole, zog den Finger zurück und knallte wie Calamity Jane in Richtung Sprungbrett.
    Â»Glaubst du wirklich«, frage ich, »dass Zitronensaft was bringt?«
    Valentine stellt ihren Becher ab. »Was meinst du?«
    Ich schweige. Es ist doch wohl klar, was ich meine.
    Â»Dass ich zu dick bin?«
    Valentines Stimme klingt weinerlich.
    Meine Haut klebt an der Bank. Ich setze mich anders hin. Wir haben Urlaub, ich bitte dich. »Nein, Tine«, sage ich nach einer Pause, »du bist nicht dick. Du bist füllig. Rubensfigur nennt man das.«
    Â»Manche Männer mögen es dick«, sagt Valentine.
    Â»Männer?«, frage ich. »Ich weiß ja nicht.«
    Â»Doch«, sagt Valentine. »Nicht jeder liebt es dürr und knochig.«
    Â»Nein«, sage ich. Mein Bauch rebelliert. »Natürlich liebt nicht jeder dasselbe. Gott sei Dank.« Ich mache eine wegwischende Geste. Ȇber solche Dinge zerbreche ich mir nicht den Kopf. Ich habe Besseres zu tun. Das Violinsolo des Danse Macabre einzustudieren, zum Beispiel, und die Art und Weise, wie die Streicher ihre Parts spielen müssen.« Ich schaue hinaus.
    Es wird wieder still im Abteil. Valentine beugt sich über die Einkaufstasche und beginnt umständlich, die Reste der Hühnermahlzeit aufzuräumen. Mit zwei Servietten putzt sie die Bank sauber, die Deckel kommen auf die Dosen, die Dosen werden der Größe nach in die ­Tasche gestapelt, die Thermoskanne auf die eine Seite, die Flasche mit Zitronensaft auf die andere. Becher und Besteck obendrauf, Geschirrtuch ordentlich darüber gefaltet. »So, alles verstaut.«
    Valentine nestelt an ihrem Pulli. Sie zupft Fusseln ab und wirft sie in den Abfallbehälter. »Es tut mir leid, Sigi«, murmelt sie und faltet die Hände.
    Â»Was tut dir leid?« Ich räuspere mich. Valentine schwitzt, Perlen bilden sich auf ihrer Oberlippe. Es wird doch jetzt kein Geständnis kommen? Als ob ich darauf warten würde. Darauf, was sie im Einzelnen so alles angestellt hat. Wie gesagt: Wir wollen die Stimmung nicht verderben.
    Ich hole tief Luft. »Was genau tut dir leid?«
    Valentine steckt eine Locke, die sich gelöst hat, in ihren Dutt zurück. Sie schnauft. Ihre Wangen sehen fettig aus, wie Jonagold-Äpfel, die zu lange in der Schale gelegen haben.
    Â»Du hast eine Karriere«, flüstert sie.
    Â»Du musst lauter reden. Ich kann dich so nicht verstehen bei diesem Zuglärm.« Ich klopfe an mein Ohr.
    Valentine setzt sich gerade hin. »Du hast dir so eine schöne Karriere aufgebaut«, sagt sie lauter. »Während ich …«
    Â»Ja?«
    Â»Ich habe einfach öfter Appetit als du«, murmelt sie.
    Â»Appetit worauf?« frage ich.
    Â»Komm, Sigi. Guck nicht so unheimlich. Da muss ich lachen, und wenn ich lachen muss, kann ich nicht mehr aufhören und mache mir in die Hose.«
    Â»Oh nein, das wollen wir nicht«, sage ich.
    Â»Ich weiß nicht, woran das liegt.« Valentine kaut an ihren Nägeln. »Ich habe eigentlich immer Appetit. Du kannst mir alles vorsetzen. Früher war das
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