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Fallkraut

Fallkraut

Titel: Fallkraut
Autoren: Lucette ter Borg
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Jahren, die ich als selbstverständlich hingenommen habe. Vor langer Zeit ging alles mühelos. Mir jucken noch die Fingerspitzen davon.
    Â»Hab ich geschnarcht? Sind wir schon an der Grenze?«
    Â»Wir sind gleich in Emmerich.« Valentine schlägt die Zeitschrift auf ihrem Schoß zu und schaut auf die Uhr. »Auf welchem Bahnsteig müssen wir umsteigen?«
    Ich hole unsere Reiseunterlagen hervor und gebe sie Valentine. »Behalt du sie. Du hast bestimmt noch in irgendeiner Tasche ein Plätzchen frei.«
    Auf dem Bahnhof in Hengelo hat ein freundliches Fräulein mir die ganze Route aufgeschrieben, wann wir wo sind, auf welchem Gleis wir ankommen und von welchem wir weiterfahren. Arnhem, Emmerich, Köln. Und dann hinter Koblenz die letzte, schönste Etappe am Rhein entlang nach Lorch.
    Zu Hause habe ich die Deutschlandkarte ausgebreitet und gedacht: Was, wenn es zwischen Herrn von Wain in Lorch und meiner Geige nicht funkt? Adriaan hat ihm zwar einen Brief geschrieben, aber man weiß ja nie, ob die Post ankommt und ob Adriaan Wort hält. Darum habe ich die Zugauskunft in Deutschland angerufen. Ich weiß alles über Bummelzüge und Umsteigezeiten.
    Dass es doch gut gehe in Lorch! Dass wahr werde, was Adriaan sagt!
    Â»Hast du heute Nacht schlecht geschlafen?«, fragt ­Valentine. »Du siehst ein bisschen blass aus. Warst du nervös?«, redet sie weiter. »Bestimmt. Genau wie ich. Schließlich bin ich um vier Uhr aufgestanden und habe gewartet, bis es hell wurde. Dann ging es wieder.«
    Â»Das wird es sein«, nicke ich.
    Â»Dass diese Brigit nun aufhört mit dem Klavierunterricht, was?«, fährt Valentine fort. »Was sagst du dazu? Nach dem Sommer kommt sie nicht mehr.«
    Â»Gut so«, erwidere ich gedankenlos.
    Valentine schaut mich stirnrunzelnd an.
    Â»Ich habe es nicht so gemeint«, beschwichtige ich. Ich richte mich etwas mehr auf. »Du hast ihre Gesellschaft sicher liebgewonnen, in all den Jahren.«
    Meine Schwester zuckt mit den Schultern. »Es geht mir natürlich auch um das Geld. Es ist nicht viel, und ihr Vater zahlt unregelmäßig, aber von Brigits Stunden kann ich gerade so den Frisör finanzieren.«
    Â»Den Frisör, ja.« Ich verschränke die Finger, drehe an meinem Ehering, ich rieche mich selbst, wenn ich mich bewege. Ich erzähle es Valentine nur, wenn es nicht klappt in Lorch, was der liebe Gott verhüten möge. Sonst fängt sie jetzt schon an zu meckern. Dass ich mich übers Ohr hauen lassen habe. Dass es eine Katze im Sack ist, die da in meinem Kasten steckt, und kein Paradies­vogel.Nein, erst müssen wir in Stimmung sein. Also wirklich.
    Â»Lorch«, muss ich schlimmstenfalls sagen, »das war fein. Aber was ist schon eine Woche?« Ich muss Valentine auf etwas Schönes hinweisen oder sie beim Kaffee zu einem Stück Kirschtorte einladen, die liebt sie über alles. Wir werden aufs Geratewohl weiterfahren, werde ich sagen. Oje, Tine, ist das nicht ein Abenteuer? Uns noch ein bisschen länger verwöhnen lassen und all das Neue um uns herum genießen? Das ist gut für dich. Vergiss doch mal den ganzen Hauskram. Die Klavierstunden kommen dann wieder nach dem Sommer. Deine paar Schüler laufen nicht weg, und Otto weiß, dass du im ­Urlaub bist. Na los, Otto und deinen Enkelkindern geht es prima, auch wenn du nicht zu Hause auf sie wartest. Wir werden es sehen. Toll, was?
    Wir werden losziehen, so wie wir früher mit Papas Orchester losgezogen sind: Wo Musik gewünscht wurde, da mussten wir hin, um unsere Künste vorzuführen. Brünn, Mostar, Lemberg und noch eine Menge andere Orte, deren Namen mir im Laufe der Jahre entfallen sind und von denen ich kaum mehr in Erinnerung habe als eine Brücke, niedrige Häuser an einem Sandweg und Schlamm.
    Aber wenn Tine nun auf stur schaltet?
    Dann fahre ich allein.
    Traue ich mich nicht.
    Traust du dich doch.
    Dann sage ich, dass sie mitmuss. Dass ich noch was bei ihr guthabe. Dass noch eine Rechnung offen ist. Und dass ich jetzt das Wechselgeld zurückverlange.
    Das sage ich. So machen wir’s.
    Mir ist schlecht.
    Wenn Sjors mit dem Nachbarn eine Partie Pingpong auf dem Küchentisch spielt und ich versuche, den Ball zu verfolgen, wird mir auch schlecht, fliegen mir die Augen aus dem Kopf.
    Seit dem Grenzübergang fahre ich rückwärts.
    Â»Halb so wild«, sagte Valentine, »wir sind in Deutschland. Da
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