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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 12 Schattentänzer

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 12 Schattentänzer

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 12 Schattentänzer
Autoren: Martin Clauß
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Gefühl, aus den Augenwinkeln heraus einen Schatten in der Ecke stehen zu sehen. Jemanden, der ihn beobachtete. Er hatte etwas von den Schatten der Figuren in den Geisterbahnen. Wenn es nicht vollkommen finster war, konnte man sie schon von weitem sehen, ehe sie für Sekunden zum Leben erwachten.
    Artur machte einen schnellen Schritt auf ihn zu, doch anstatt zischend in elektrischem Licht zu erstrahlen, schien er sich in die Finsternis auflösen, ehe er ihn erreichte. War er wirklich da gewesen? Irgendwo klappte eine Tür. Eine der Kabinen vielleicht. Artur warf einen Blick über die Schulter, doch niemand war zu sehen. Jetzt gab es in der Ecke nichts mehr außer einem großen staubigen Feuerlöscher. Die Notbeleuchtung, die seine Position markieren sollte, war erloschen. Hatte er die Konturen des Geräts mit denen eines Menschen verwechselt?
    Aber er entdeckte etwas Anderes. Einen Lichtschein. Er kam aus einem kleinen ovalen Fenster, das aussah wie das der Kartenhäuschen, die es am Eingang von Kinos gab. Oder vor den Geisterbahnen. Der schwarze Pfeiler mitten im Raum hatte es verdeckt, und das Licht, das herausdrang, war sehr schwach.
    Artur riskierte einen Blick durch das Fenster. Es war schmierig und halb blind, und die andere Seite schien weit, weit entfernt zu sein.
    In einer winzigen Kammer, in der sich ein ausgewachsener Mensch kaum drehen konnte, saß ein Mädchen wie in einem Gefängnis. Es hatte glatte blonde Haare und ein helles, nachdenkliches Gesicht. Weiße Zähne bissen auf die kleine, farblose Unterlippe, und die Blicke der großen Augen waren auf die Seiten eines Schundromans geheftet. Als Artur seine Hand sanft gegen die Wand legte, begann diese zu knarren. Es war nichts als ein provisorischer Bretterverschlag. Das Mädchen sah von dem Heft auf, bog die flexible Leselampe nach oben und leuchtete ihm ins Gesicht.
    Während Artur geblendet die Augen schloss, öffnete sie das ovale Fensterchen. „Ja?“, fragte eine von Natur aus leise Stimme, die sich Mühe gab, laut zu sein. „Geld wechseln?“
    „Nein, ich ...“ Er konnte jetzt die Augen wieder öffnen – das Licht war nicht sehr hell, und sie drehte die Lampe nun wieder von ihm weg. Sie hatte eine große, traurige Nase und war nicht mehr ganz so schön, wie sie auf den ersten Blick im Zwielicht gewirkt hatte. Was ihr einen unwiderstehlichen Reiz verlieh, war ihre Echtheit, ihr natürliches, ungeschminktes Gesicht. Sie hätte in den Bioladen an der Ecke gepasst, nicht hierher. Eine Studentin vielleicht, die sich ein paar Euro dazuverdiente.
    Wie Frederik.
    Studieren Sie auch Theaterwissenschaft im zwölften Semester?
    Hätte er sie anmachen wollen, wäre dieser Spruch nicht schlechter gewesen als jeder andere. Er verkniff ihn sich. „Ich suche jemanden.“
    „Ja?“ Sie hatte keine der typischen Antworten parat. Sie sagte nicht: „Wir sind kein Freudenhaus, Onkel.“ Oder: „Geh nach Hause zu deiner Frau.“ Sie sah ihn aus ihren eng zusammenstehenden melancholischen Augen an und fragte sachlich: „Wen suchen Sie denn?“
    „Einen jungen Mann. Wir waren ... verabredet. Er hat nicht zufällig eine Nachricht für mich hinterlassen?“
    Plötzlich lachte sie. Man hörte es nicht. Sie machte nur den Mund auf und schüttelte sich ein bisschen. „Sie meinen Frederik“, stellte sie dann fest.
    Artur konnte nur staunen. „Sie kennen ihn?“
    Ihre Augenbrauen hoben sich, was ihr langes Gesicht witzig aussehen ließ. „Wir gehen ab und zu ins Theater. Zusammen .“ Das letzte Wort betonte sie merkwürdig.
    „Wirklich?“ Zum ersten Mal hatte Artur eine Vorstellung, warum der Junge diesen Ort als Treffpunkt gewählt hatte und keinen anderen. Er kannte das Mädchen, das hier arbeitete. Sie gingen ins Theater. Zusammen. Vielleicht war sie sogar seine Freundin. Irgendwie hätte sie sehr gut zu Frederik gepasst, fand er. „War er eben hier, vor einer halben Stunde?“
    „Er dachte, Sie hätten ihn versetzt. Übrigens: Ich bin Janina. Sollen wir uns nicht duzen?“
    „Artur“, stellte er sich vor. „Gerne.“
    „Wie der König! Hast du die Neuverfilmung gesehen? Wir lassen uns kein Lichtspiel entgehen.“
    Artur schüttelte den Kopf. Dann kniff er die Augen zusammen, sah sie an. Hatte sie eben wirklich das Wort Lichtspiel verwendet? Dieses Wort war kein Bestandteil seines aktiven Wortschatzes. Selbst während seiner Kindheit in der DDR hatte man solche Bezeichnungen nicht gebraucht, und es hätte ihn gewundert, wenn die amerikanisierten
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