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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 12 Schattentänzer

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 12 Schattentänzer

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 12 Schattentänzer
Autoren: Martin Clauß
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Er würde nicht ... Auf keinen Fall würde er ...
    Artur war schon zwanzig Minuten vor sechs am vereinbarten Ort eingetroffen. Er kannte die Stadt nicht und wollte kein Risiko eingehen, sich zu verspäten. Mit gerunzelter Stirn stand er da und verglich das Straßenschild und die Hausnummer mit der Notiz, die er von Frederik erhalten hatte. Sie stimmten überein.
    Der Junge hatte nicht gesagt, ob es sich bei ihrem Treffpunkt um ein Geschäft oder ein Wohnhaus handelte. Insgeheim hatte Artur angenommen, dass Frederik ihm seine Privatadresse gegeben hatte.
    Aber das hier war ...
    Eine Leuchtschrift verkündete unmissverständlich, um welche Art Laden es sich handelte: NON-STOP-SEX-SHOW – VIDEOKABINEN – 128 PROGRAMME – BIS 24 UHR GEÖFFNET.
    In einigem Abstand war Artur stehen geblieben. Sicher, Frederik hatte nicht gesagt, dass sie sich im Inneren treffen würden. Vielleicht hatte er den Ort nur deshalb gewählt, weil er auffällig und leicht zu finden war. Aber wer verabredete sich schon mit einem fremden Menschen vor einem Pornokino, um ins Theater zu gehen? Wie sollte er reagieren, wenn Frederik auftauchte? War es überhaupt klug, hier auf ihn zu warten? Die Worte des Betrunkenen gingen ihm durch den Kopf, und er fragte sich, ob die Menschenkenntnis dieses Mannes womöglich besser war als seine eigene. Seine alte Skepsis gegenüber Menschen erwachte wieder, und er begann sich zu ärgern, dass er diesem Burschen so schnell sein Vertrauen geschenkt hatte.
    Es war Viertel vor sechs.
    Artur fühlte sich nicht wohl an diesem Ort und beschloss, ihn zu verlassen. Ehe er die Verabredung vollständig platzen ließ, würde er allerdings noch einmal das Bistro aufsuchen. Vielleicht hielt sich Frederik noch dort auf. Dann konnte er ihn zur Rede stellen, und das war ihm lieber. Vor dem Sexkino auf einen Fremden zu warten, das war beinahe, als gebe man ihm ein Versprechen ab. Ein Versprechen von einer Art, wie Artur es in seinem Leben niemals geben würde.
    Wie Frederik gesagt hatte – das Bistro befand sich nur drei Straßen entfernt. Durch die große Scheibe konnte man das Innere schon von außen sehen, und Artur fiel schon von weitem auf, dass jemand anderes hinter dem Tresen stand. Trotzdem trat er ein. Hinter der Theke spülte eine große, hagere Frau in mittlerem Alter Gläser ab. Sie drehte sich mit einer trägen Bewegung zu dem neuen Gast um und fragte: „Was darf’s sein, junger Mann?“ Ihre dünnen Haare trug sie zu einer lächerlichen Hochfrisur toupiert, und in ihrem dicken Make-up stach vor allem der grelle pinkfarbene Lippenstift hervor. Hinter dem Tresen stand ein Aschenbecher, in dem eine filterlose Zigarette glomm.
    „Ich möchte nichts trinken, danke“, entgegnete Artur. „Ich suche jemanden. Frederik.“
    „Frederik?“ Die Frau wirkte gleichgültig. Sie trocknete ihre Hände an ihren Hosenbeinen ab, fischte mit zitternden Fingern die Zigarette aus dem Ascher und nahm einen Zug. „Der arbeitet nur bis um vier. Bist du ein Freund von ihm?“
    Artur überlegte, wie sie das Wort „Freund“ wohl meinte. Für einige Sekunden sahen sie sich an, und Artur fiel nichts ein, was er sie fragen konnte, also bedankte er sich und verließ das Bistro. Es war jetzt gut gefüllt – der Dicke vom Mittag war jedoch nicht mehr unter den Gästen.
    Eine halbe Stunde lang lief er ziellos durch Stuttgarts Straßen. Er schaffte es nicht, sich weit von dem vereinbarten Treffpunkt zu entfernen. Doch ihm fehlte auch der Mut, ihn ein zweites Mal aufzusuchen. Natürlich sagte er sich, dass er zunächst einmal unverbindlich nachsehen konnte, ob Frederik dort auf ihn wartete, aber was, wenn der Junge ihn entdeckte?
    Er nahm sich vor, die Sache zu vergessen und den Abend auf andere Weise zu verbringen. Er konnte eine Kleinigkeit zu sich nehmen und dann ins Kino gehen, in ein richtiges Kino. Oder einfach weiter durch die Straßen schlendern, bis er müde wurde. Er tat das normalerweise gern. Es gab ihm das Gefühl, unabhängig und frei zu sein, nicht zu diesen umherwimmelnden Menschen und ihren Sorgen zu gehören.
    Doch die Verabredung ging ihm nicht aus dem Sinn. Es war schon beinahe halb sieben, als er mit verbissenem Gesicht, wütend über sich selbst, den Weg zum Sexkino einschlug. Wütend wurde er, weil er so unentschlossen war. Weil er es weder über sich brachte, die Verabredung einzuhalten, noch, sie zu vergessen. Was nutzte es, wenn er eine halbe Stunde zu spät eintraf? Falls Frederik tatsächlich auf ihn gewartet
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