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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 12 Schattentänzer

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 12 Schattentänzer

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 12 Schattentänzer
Autoren: Martin Clauß
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hinweg immer wieder seinen Weg kreuzten. Diese dunklen, ernsten Gesichter mit den hohen Wangenknochen hatte er in den letzten Tagen zu Tausenden gesehen. Die dünnen, farbenfrohen Hemden und die lockeren Leinenhosen schienen alle vom selben Schneider zu stammen, und auch der Haarschnitt war den meisten männlichen Javanern gemein – nicht zu lang, nicht zu kurz. Dicke Leute sah man selten – die meisten hatten diesen sehnigen Körperbau, der sie aussehen ließ, als wären sie ständig auf dem Sprung.
    Und stets hungrig.
    Springer hatte sich von dem Moment an beobachtet gefühlt, als er durch den Zoll in die Flughafenhalle spaziert war.
    Man sagte den Bewohnern Indonesiens nach, besonders freundliche, offene Menschen zu sein. Olaf Springer wollte das gar nicht bestreiten. Bestimmt traf es auf viele von ihnen zu. Selbst einem Fremden begegneten überall lächelnde Gesichter, und wenn man durch die lebendigen Gassen, über die Plätze und bunten Märkte ging, wo man als Weißer unweigerlich auffiel, verwandelte sich die gleichmütige Miene der Menschen, die einem am nächsten waren, so oft in strahlendes, einladendes Lachen, dass man sich fragte, was man diesen Leute Gutes getan hatte. Oder ob welche darunter waren, denen man in einem früheren Leben vielleicht schon einmal begegnet war.
    Man durfte nur nicht zwischen diesen freundlichen Leuten hindurchsehen, tiefer hinein in die zweite, dritte, in die zehnte Reihe. Weiter hinten, wo sie ineinander verschwammen und eine geschäftige, undurchsichtige Flut von Leibern bildeten, sahen ihre Mienen anders aus. Manche der Blicke, die sie einem zuwarfen, drückten leidenschaftlichen Hass aus. Andere waren voller Gier. Man wurde beobachtet, jeder Schritt, den man ging, wurde registriert. Durch einen Lattenzaun des Lächelns hindurch war man wie auf dem Präsentierteller für diejenigen, die absichtlich abstandhielten.
    Würde der Zaun des Lächelns den fremdländischen Gast schützen, wenn die äußeren Ringe sich enger schlossen? Olaf Springer vertraute nicht darauf.
    Und trotzdem – solange er sich in den Städten aufhielt, fühlte er sich beinahe sicher. Die Bevölkerungsdichte in Millionenstädten wie Jakarta und Surabaya schien ihm ein Gewaltverbrechen nahezu unmöglich zu machen. Es sei denn, die lächelnden, stets den Augenkontakt zu dem Fremden suchenden Menschen würden mit einem Mal wegsehen, wenn ihre weniger freundlichen Landsleute auf den Plan traten ...
    Olaf fand in den Städten wenig Interessantes. Die Filme in seiner Kamera verlangten nach der Vielfalt tropischer Pflanzen und Tiere. Nach Kunst und Architektur aus einer Zeit, da Coca Cola noch unbekannt gewesen war. Indonesiens wechselvolle Geschichte hatte den Inseln viele verschiedene kulturelle Stempel aufgedrückt - der Islam war hier wie auch in Indien der Tod des Buddhismus gewesen, doch waren längst nicht alle Tempel zerstört worden. Die stummen steinernen Zeugen aus einer Zeit, als mehr als nur ein Gott über Java gewacht hatte, zogen Touristen aus aller Welt an.
    Auch Olaf Springer streifte diese Orte und fütterte den einen oder anderen Film mit den glockenförmigen Stupas und den Steinreliefs, die Szenen aus Buddhas Leben verewigten. Am meisten aber drängte es ihn hinaus aufs Land, wo keine Touristen mehr unterwegs waren. Er fotografierte für Magazine und Bücher – und am meisten für sich selbst.
    Die letzte Nacht hatte er in einer Kleinstadt fünfzig Kilometer südlich von Surabaya verbracht, in einer Absteige, in der er die ganze Nacht über kein Auge zugetan hatte. Die Tür war nicht abzuschließen, und er hätte weder für die anderen Gäste noch für das Hauspersonal seine Hand ins Feuer gelegt. Es waren sonnenverbrannte, knochige Gestalten. Einem fehlte ein Auge, den anderen eine Menge Zähne. Zum ersten Mal in seinem Leben schlief Olaf mit seiner 5000-Euro-Kameraausrüstung in einem Bett.
    Am nächsten Morgen fühlte der Mittvierziger den Drang, sich so weit wie möglich von dem zu entfernen, was man hier Zivilisation nannte. Er stand früh auf, nahm ein hastiges Frühstück aus Reis und Gemüse ein und machte sich auf eine Reise, die ihn Schritt für Schritt immer weiter in die unberührte Natur Javas führen sollte. Er fing damit an, in einem knallroten, klapprigen Bus in die Vorstadt zu fahren. Von dort aus brachte ihn ein Taxi in eines der umliegenden Dörfer, und den weiteren Weg legte er zu Fuß zurück.
    Der Tag begann für indonesische Verhältnisse angenehm kühl. Graue
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