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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 12 Schattentänzer

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 12 Schattentänzer

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 12 Schattentänzer
Autoren: Martin Clauß
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schließlich drückte die Knie vorsichtig durch. Er schwankte noch, und sein Kopf schmerzte wie wahnsinnig, aber er stand. Zwei, drei Schritte machte er auf die Hütte zu. Dort hielt er sich fest und fühlte sich gleich besser.
    Seine Hand verfehlte den Türgriff zwei Mal. Als er ihn hatte, drückte er die Tür nach innen auf.
    „Hallo“, rief er mit schwacher Stimme. „Ich brauche Hilfe.“ Er drehte den Kopf, ehe er eintrat. Sah die drei Männer. Sie bewegten sich jetzt noch zögernder.
    Olaf fiel etwas Beunruhigendes ein: Selbst wenn hier jemand wohnte, würde er ihm nicht klarmachen können, was ihm widerfahren war. Die drei Männer würden kommen und eine Geschichte über den Fremden erzählen, der sich verletzt hatte. Den man in Obhut nehmen und in ein Krankenhaus bringen würde. Er musste sich etwas einfallen lassen, eine pantomimische Erklärung abgeben, eine Zeichnung anfertigen, oder ...
    Der Deutsche sah das Innere der Hütte und erkannte, dass all dies keinen Sinn machen würde. Es war aus. Er war verloren.
    In dem kleinen Häuschen aus Bambus gab es nur ein Zimmer. Ein Rechteck aus Kerzen war in der rechten Hälfte des Raumes aufgestellt worden, achtzig oder hundert Kerzen vielleicht, und bis auf zwei oder drei brannten sie alle. Inmitten des Rechtecks war ein Mann aufgebahrt, ein alter Mann. Die Enden seines langen Schnurrbarts waren von schmutzigem Weiß und reichten bis weit auf seine Brust. Die braune Gesichtshaut hatte einen fahlen Schimmer bekommen, Augen und Lippen waren geschlossen und eingesunken, die Haut zeichnete den darunter liegenden Schädel präzise nach. Er trug ein farbenfrohes, volkstümlich wirkendes Gewand aus Seide.
    Die Wände des Raumes waren mit Puppen verziert, wie sie im indonesischen Schattenspiel gebräuchlich waren. Hagere, seltsam proportionierte Gestalten aus bemaltem Leder an hölzernen Stäben. Einige Wörter kamen Olaf in den Sinn. Sie standen in jedem Indonesien-Reiseführer, und die meisten Touristen kannten sie:
    Wayang kulit . Der einheimische Begriff für das traditionelle Schattenspiel. Olaf hatte gelesen, dass wayang Theater bedeutete und kulit Leder – das Material, aus denen die meisten dieser Puppen gefertigt waren.
    Und die Puppenspieler nannte man dalang .
    Dunkel, als wären sie selbst nur Schatten, warteten die Puppen an den Wänden. Seit Olaf die Tür geöffnet hatte, flackerten die Kerzenflammen im Luftzug und hauchten den künstlichen Gestalten Leben ein. Sie bekamen etwas Spinnenartiges, mit den langen dünnen Armen und den rundlichen, aufwändig herausgeputzten Körpern. Ihre Gesichter zuckten voller Unruhe, und die scharfen, langnasigen Profile schienen nicht zu den Menschen zu passen, die dieses Land bevölkerten. Es war, als gehörten die Puppen einer eigenen Rasse an, die im Kontrast zu den Leuten hier stand.
    Der dalang war ohne Zweifel tot.
    Seine Puppen lebten auf eine subtile Weise.
    Jemand hatte ihn hier aufgebahrt. Aber das musste nicht bedeuten, dass dieser Jemand sich noch in der Nähe befand. Die Kerzen waren kurz geworden. Sie mochten schon einige Stunden brennen, seit dem frühen Morgen.
    Olaf wandte sich um und stolperte rückwärts in die Hütte hinein.
    Die drei Männer standen jetzt dort, wo er eben noch gelegen hatte. Sie standen in seinem Blut und sahen ihn an.
    Hier war niemand, der ihm helfen konnte. Der tote dalang nicht, und seine Puppen nicht.

5. Carina
    Das Theater hieß „Lux“ und war in einem Gebäude untergebracht, das nach einer Lagerhalle aussah. Artur konnte nicht verhindern, dass ihm wieder das Wort einfiel, das Janina benutzt hatte: „Lichtspiel“. Es gab eine Menge Kinos, die „Lux“ - „Licht“ hießen. Aber Theater ...?
    Wenn der Eingang nicht offengestanden hätte, hätte er es möglicherweise nicht gefunden. In einem schmalen, schlecht ausgeleuchteten Gang standen ein paar Menschen, junge Leute hauptsächlich, in flippigen Klamotten. Außen neben der Tür und im Inneren neben der Kasse verkündete ein kopiertes Schwarzweißplakat, welches Stück man gab.
    Es war „Der Zerrissene“ von Nestroy. Artur fiel auf, dass jedes der Plakate zur Hälfte eingerissen war. Jemand in diesem Theater hatte einen besonderen Sinn für Humor.
    An einer Art Kommode stand eine ältere Frau in einem Rokoko-Kleid. Sie hatte eine Geldschatulle vor sich und verteilte das Wechselgeld mit schmalen, schwarzbehandschuhten Fingern. Als Artur an der Reihe war, schenkte sie ihm ein liebenswürdiges Lächeln aus einem
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