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Stahlhart

Titel: Stahlhart
Autoren: Volkmar Joswig , Henning von Melle
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    Rainer West trat aus dem Gerichtsgebäude.
    Gerade hatte er eine deftige Ohrfeige erhalten. Obwohl das Gebäude praktisch sein zweites Zuhause war, erschien es jetzt auch als Ort der bittersten Niederlage. Er war gerade von seiner Frau geschieden worden, mit üblen Nebenwirkungen, die sein weiteres Leben erschwerten. Rainer musste erst einmal tief Luft holen und ließ sie lautstark wieder entweichen.
    Langsam stiefelte er vom Amtsgericht über die Domsheide, am Dom vorbei, in Richtung des historischen Bremer Rathauses. Unter den Arkaden des Rathauses setzte er sich auf eine der Steinbänke, die noch frei war. Um ihn herum schnatterte es in diversen Sprachen, ein untrügliches Zeichen, dass wieder viele ausländische Besucher den Weg nach Bremen gefunden hatten.
    Eine Zeit lang beobachtete Rainer eine Gruppe von Touristen, die vor dem Denkmal des Rolands einer Stadtführerin lauschten. Als Rainer merkte, dass ihn das fröhliche Gewimmel mehr störte als ablenkte, brach er wieder auf. Ihn zog es an die Weser. Er wählte die Teerhofbrücke, lehnte sich an das Brückengeländer und starrte in den ruhig dahin zuckelnden Fluss. In ihm kochte es, verbunden mit Resignation, Leere und Aufruhr gegen den Urteilsspruch. Seine Exfrau hatte ihn klassisch aufs Kreuz gelegt und reichlich zur Kasse gebeten. Unruhe trieb ihn nach einer Weile weiter. Er setzte sich, in Gedanken versunken, in sein Bremer Stammlokal an der Schlachte, in dem er fast regelmäßig hockte, und maulte vor sich hin. Einige, für ihn düstere, Vorgänge beschäftigten ihn. Eine Scheidung an sich war schon eine üble Sache, zumal er nicht derjenige gewesen war, der das Ende der Partnerschaft eingeleitet hatte.
    Natürlich litt die Arbeit unter der seelischen Anspannung und der gedanklichen Beschäftigung. Rainer West war Gerichts- und Polizeireporter beim Bremer ›Weser Boten‹. Durch die wahrzunehmenden privaten Termine versäumte er schon mal einen beruflichen, und seine Leistungen wurden immer schlechter. Es hatte bereits Gespräche mit seinem Chefredakteur Dr. Kurt Koschnick gegeben. Da dieser aber die Situation kannte, brachte er Rainer ein gewisses Verständnis entgegen. Inzwischen war allerdings ein Punkt erreicht, wo es schwierig wurde, Rainer den Rücken freizuhalten. In dieser Situation saß Rainer West nun auf seinem Stuhl und ließ den Kopf hängen. Sein leerer Blick wanderte hin und her. Bisweilen streifte sein Auge eine hübsche Frau, die ihm, allein, schräg gegenübersaß und in ihrem Cappuccino rührte. Rainer bemerkte nicht, dass sie versuchte, seinen Blick zu fangen und festzuhalten. Dafür war er zu abwesend.
    Solche Situationen hatte es schon oft gegeben, denn Rainer war immerhin ein gut aussehender Mann, schwarzhaarig, schlank, von 1,80 Meter Größe, mit wohlklingender Stimme. Rainer legte viel Wert darauf, körperlich gepflegt und adrett bis schick gekleidet zu sein. Er trug fast ausschließlich Anzug, oft Schlips. Er galt als charmant, smart. So stellte er eine ansehnliche Erscheinung dar und war Ziel vieler begehrlicher Blicke.
    Hier und heute stellte er für sich aber fest, dass ihm die Anwesenheit im Lokal nichts brachte, also stand er auf und zahlte.
    Vielleicht war es besser, zu Hause seinen Gedanken nachzuhängen. Schließlich konnte es sein, dass er gesehen wurde, wie er hilflos, mit düsterem Blick rumhing. Das konnte sich schlecht auf seine Tätigkeit auswirken. Also zog er die Einsamkeit seiner Behausung der öffentlichen Zurschaustellung vor. Er saß schon lange an seiner Tasse Kaffee, bereits ständig präsent, dass es da noch den Nebeneffekt der Scheidung gab, er ziemlich blank war und das würde wahrscheinlich zum Dauerzustand werden, da er Unterhaltszahlungen leisten musste.
    Rainer Wests berufliche Aufgabe war es, einerseits von Prozessen, die für die Öffentlichkeit interessant waren, zu berichten, andererseits Polizeiarbeit zu begleiten und darüber zu schreiben, wenn gerade eine Tat geschehen war. Er hatte sich gute Kontakte aufgebaut und war sogar zum gern gesehenen Kollegen geworden. Durch seinen Charme, aber auch Scharfsinn hatte er den Beamten manch wertvollen Tipp oder diese oder jene neue Sichtweise vermitteln können. So hatte er sich in Polizeikreisen Freunde geschaffen, die bereit waren, ihm manchen Hinweis zukommen oder einen Vorsprung vor seinen Kollegen erreichen zu lassen. Das wiederum führte dazu, dass er innerhalb der Zeitung seinen sicheren Platz hatte. Nun lief er Gefahr, diesen Platz aufs Spiel
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