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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 10 Woodstake

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 10 Woodstake

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 10 Woodstake
Autoren: Martin Clauß
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eine aztekische Gottheit, deren Symbol der Adler war. Der Gott hieß Xipe Totec, war mixtekischen Ursprungs und später von den Azteken übernommen worden.
    Xipe Totec war ein schauriger Bursche. „Xipe“ bedeutete „der Geschundene“, und „Totec“ hieß „unser Herr“. In Darstellungen wurde der Gott in eine abgezogene Menschenhaut gekleidet dargestellt. Außerdem wies ein Federschmuck auf seine Verbindung zum Adler hin. Dabei war Xipe Totec keineswegs ein angsteinflößender Dämon, ein Bestrafer oder ein Totengott. Er war genau das Gegenteil all dieser Dinge. Er war der Gott des Frühlings, der keimenden Vegetation. Er brachte das Leben, sorgte dafür, dass die Saat auf den Feldern aufging.
    Offenbar war es bei den Azteken Brauch gewesen, anlässlich des Frühlingsfestes einen oder mehrere Sklaven zu schinden und zu töten. Dabei prügelte man die armen Teufel auf den Äckern zu Tode, oder man verletzte sie mit Messern oder Pfeilen, bis sie auf dem Feld verbluteten. Ihre Haut wurde abgezogen, und der Priester, der Xipe Totec verkörperte, trug diese bei den Frühlingsriten wie ein Kleid. Mit dieser Zeremonie feierte man die Erneuerung des Lebens im Frühling. Wie neue Keime aus den alten, verrottenden Pflanzen entstanden, so kam der Gott des Frühlings in der Haut eines Toten. Das Leben kann nicht ohne den Tod entstehen – Leben keimt aus einer toten Hülse.
    Isabel fragte sich unwillkürlich, ob der Indio in der Dokumentation diese alten Geschichten kannte. Ob er an Xipe Totec und seine schauerlich anmutenden Riten dachte, wenn er seine Ware verkaufte.
    Mit Sicherheit hatten die abgeschmackten Schneekugeln nichts mit dem Adlergott zu tun. Wie sollten sie auch? Es gab zwar einige historische Stätten, an denen Abbildungen des „geschundenen Herrn“ zu sehen waren, zum Beispiel in der mixtekischen „Stadt der Toten“, in Mitla, in der Nähe des Monte Albán. Möglich, dass die Mexikaner sich etwas dazuverdienten, indem sie dort makabre Andenken an die Touristen verkauften.
    Aber Schneekugeln mit Adlern darin ...?
    Das konnte man mit Sicherheit ausschließen.
    Vermutlich verbarg sich hinter dem Motiv überhaupt keine tiefere Bedeutung. Es war einfach irgendein Design. Vielleicht hatte man es in einem Tierpark verkaufen wollen. Sich weitere Gedanken zu machen, war müßig.
    Allerdings gab es einen besonderen Grund, warum Isabel sich so sehr für den kitschigen Gegenstand interessierte.
    Eines dieser unsäglichen Objekte stand in einer Vitrine in der Diele ihres Hauses! Und jedes Mal, wenn sie das Haus betrat oder es verließ, ärgerte sie sich darüber.
    Mark und Annette Holzapfel hatten damals ihre letzten Cents für dieses geschmacklose Gebilde ausgegeben, vermutlich auch noch in dem Glauben, damit einen echten Obolus für den Frieden zu leisten. Nun hegten sie das Stück wie ihren Augapfel. Es war auf ein Samtkissen gebettet wie ein Juwel, und jedes Mal, wenn jemand ihre Diele betrat, versuchte Isabel sich davor zu stellen, damit es niemand sah. Überhaupt waren ihre Eltern ihr mehr als peinlich, und den größten Teil ihrer Kindheit verbrachte sie damit, ihren Freunden und Bekannten auszureden, sie zu Hause zu besuchen. Abgesehen davon, dass niemand die Marihuana-Pflänzchen sehen durfte – ihren Vater nackt und high auf einer verstimmten Gitarre spielen zu hören, während sie im Nebenzimmer eine Freundin empfing, war eine albtraumhafte Vorstellung.
    Isabel stritt sich ständig mit ihren Eltern. Wie sollte man sich mit diesen schrägen Gestalten nicht streiten? Vater ging mit fettigen, ungekämmten Haaren zu den Elternabenden und quatschte jeden über den Weg zum wahren Kommunismus voll. Mutter lag ihrer Tochter ständig in den Ohren, weil sie es für schockierend hielt, dass Isabel mit zwanzig noch Jungfrau war. Einmal hatte sie sogar schon einen Jungen für sie mit nach Hause gebracht. Es war zum Wahnsinnig-Werden!
    Je mehr Mark und Annette in ihrer Hippie-Mentalität aufgingen, desto verschlossener und finsterer wurde Isabel. Dass sie niemanden zu sich einladen konnte, half ihr nicht gerade dabei, Freundschaften zu pflegen. Das Mädchen schauderte es, wenn sie an die naive Weltsicht ihrer Eltern dachte. Man brauchte nur die Nachrichten zu hören, um zu erkennen, was wirklich auf der Welt vorging. Mit Liebe und Frieden hatte das nichts zu tun.
    „Die Hippies haben die Welt nicht besser gemacht“, rief Isabel, als sie wieder einmal eine dieser fruchtlosen Diskussionen führten. „Sie haben
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