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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 10 Woodstake

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 10 Woodstake

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 10 Woodstake
Autoren: Martin Clauß
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wurde die Sache kurz aufgerollt und die Akte eher hastig wieder geschlossen. „Das sind Dinge, in die sich zivilisierte Amerikaner nicht einmischen sollten“, bemerkte einer der zuständigen Beamten. „Wir haben getan, was das Gesetz von uns verlangt. Vielleicht ist es sogar besser, wenn dieses Ding nicht in geweihter christlicher Erde liegt.“
    Diese Aussage war nicht unproblematisch, und ein in Sachen Moral übereifriger Kollege versuchte, den Sprecher dieser Worte wegen rassistischer Äußerungen anzuschwärzen. Doch der Beamte erklärte seinem Vorgesetzten, er habe selbstverständlich nicht den Indio gemeint, als er „dieses Ding“ sagte, sondern die furchtbar zugerichtete Leiche des armen Burschen. Das sei zweierlei. Der Vorgesetzte hatte nichts anderes hören wollen, und damit war die Sache vom Tisch.
    Auf diese Weise hielt sich einer der drei Brüder vom Fuße des Monte Albán legal in den USA auf, den zweiten hatte man ermordet, und seine sterblichen Überreste waren verschwunden.
    Vom dritten fehlte jede Spur.

3
    Melanie Kufleitner musste unwillkürlich schmunzeln, als Isabels Eisbecher kam. Der „Eismohr“ mit dem von dunkler Bitterschokolade überzogenen Turm aus Vanilleeis war der Frau, die ihn bestellt hatte, so ähnlich, dass es ein Scherz hätte sein können. Innen weiß, außen schwarz – diese Beschreibung hätte Isabel Holzapfel treffend dargestellt: ihre blasse, gepuderte Haut, dazu die schwarze Kleidung, eine komplizierte Mischung aus Leder und Stoff ...
    Melanie hatte einen Nussbecher gewählt, und Isabel wartete höflich, bis das mit kandierten Walnüssen geschmückte, in Likör schwimmende Kunstwerk eintraf. Wie das nun einmal so war, betrachteten die beiden jungen Frauen den Eisbecher des Gegenübers mit größerem Interesse als den eigenen. Irgendwann begegneten sich ihre Blicke dabei, und Melanie schmunzelte. Isabel blieb ernst. Man sah sie nicht oft lächeln.
    Fünf Minuten hatten sie in peinlichem Schweigen im Schatten des Sonnenschirms gesessen, vor der reichlich besuchten Eisdiele. Sie hatten so getan, als würden sie die anderen Gäste oder die Passanten beobachten, aber in Wirklichkeit warteten sie nur darauf, dass die andere den ersten Zug machte.
    Melanie, für die diese Situation schneller unerträglich wurde als für die an Schweigen gewöhnte Isabel, war die erste, die sprach.
    „Ich weiß, was du denkst“, behauptete die hübsche Rothaarige. „Du denkst: Warum ich? Was will sie von mir? Warum fragt sie nicht einen der anderen, wenn sie mit jemandem ein Eis essen gehen will? Habe ich recht?“
    Isabel klopfte die Schokoladenschicht auf ihrem Eis an einer Stelle mit dem Löffel auf, wie man ein Frühstücksei aufmacht. „Würdest du das denken, wenn du an meiner Stelle wärst?“
    „Definitiv!“, erwiderte Melanie. „Wir haben noch nie etwas zusammen gemacht. Nicht zu zweit, meine ich.“
    Das Gothic-Mädchen nickte.
    Melanie fuhr fort: „Schau, Isabel, du weißt, wie das in einer Gruppe ist. Man hat ein paar Leute, mit denen man sich gut versteht, andere, die man nicht leiden kann.“
    Jetzt nickte Isabel nicht. Mit dem langstieligen, schmalen Eislöffel holte sie das Eis durch ein winziges Loch aus der Tiefe. Sie schien nachzudenken, ob Melanies Aussage auf sie selbst zutraf. Vielleicht war sie aber auch nur einfach mit ihrem Eis beschäftigt.
    „Damit will ich sagen: Wir beide hatten bisher kaum Gelegenheit, uns kennen zu lernen. Uns gut genug kennen zu lernen, um überhaupt zu wissen, ob wir uns mögen oder nicht. Das ist im Grund okay so, und wir könnten so weitermachen wie bisher, nur ...“
    „Ja?“ Isabel sah auf. Ihre Augen waren braun, konnten sehr sanft und verletzlich wirken.
    Melanie legte den Löffel ab, stützte die Ellbogen auf dem Tisch ab und faltete die Hände vor dem Kinn. „Ich habe das Gefühl, wir befinden uns in einer gefährlichen Zeit. Die Sache mit Artur, und jetzt Sir Darren ...“
    Isabels Blick verlor den Fokus. Sir Darren war seit gestern spurlos verschwunden. Der Honda stand nicht mehr vor dem Schloss, also war der Dozent weggefahren. Am frühen Nachmittag hatte er sich in seinem Zimmer eingeschlossen und auf die Fragen des Rektors nur ausweichend reagiert, ohne die Tür zu öffnen. Kurze Zeit später, als Werner Hotten sein Glück ein zweites Mal bei ihm versuchen wollte, war seine Tür nicht mehr abgeschlossen gewesen, und der Dozent für Spiritismus hatte das Gebäude verlassen. Es gehörte zu den Regeln der Schule, dass
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