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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 10 Woodstake

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 10 Woodstake

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 10 Woodstake
Autoren: Martin Clauß
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sich in trüben Schlieren im Likör aufzulösen begann. „Ich wollte nicht, dass du das Gefühl hast, ich würde dich ausfragen, und ...“
    Isabel löffelte weiter. Ihren Appetit schien Melanie ihr wenigstens nicht verdorben zu haben. „Ich kann dir nichts berichten, weil ich nichts weiß. Wenn du denkst, Madoka unterhält sich mit mir, von Frau zu Frau, dann täuschst du dich. Es gibt niemanden, mit dem sie spricht. Sie redet nicht einmal im Schlaf. Das Bett neben mir könnte ebenso gut leer sein. Unser Zimmer ist so lebendig wie eine Gruft – ich fühle mich dort ausgesprochen wohl.“
    Tief in Isabels Augen glomm ein Funke Humor auf, doch er war schnell wieder weg, und Melanie hatte den Eindruck, eine Sternschnuppe gesehen zu haben. Vielleicht war es gut, sich jetzt etwas zu wünschen ...
    Sie tat es sogar, aber nach einer Minute Schweigen kam ihr ihr Wunsch durch und durch lächerlich vor. Unrealistisch.
    Bis Isabel sagte: „Ich habe nichts dagegen, deine Freundin zu sein. Wenn du das willst.“
    Melanie sah sie mit ihren großen grünen Augen erstaunt an. „Ja“, beeilte sie sich zu antworten. „Sehr gerne.“
    „Auch wenn ich absolut nichts über Madoka weiß?“
    „Natürlich, natürlich! Es ist mir so peinlich, dass es aussah, als würde ich dich aushorchen ...“ Sie war kurz davor, Isabel von ihrer traumatischen Begegnung mit der Japanerin zu erzählen – sie sah jetzt noch die langen weißen Fingernägel vor ihren Augen, bereit, jeden Augenblick zuzustoßen. Zehn Zentimeter bis in dein Gehirn , hatte Madoka gesagt. Melanie würde diese Sekunden der Angst nie vergessen. Letzte Nacht war sie an einem Albtraum erwacht, in dem Madokas Finger die zehn Zentimeter tatsächlich zurückgelegt hatten. Sie hatte keinen Schmerz empfunden, war nicht in Panik geraten, aber sie hatte gewusst, dass ihre Augen nicht mehr da waren, und hatte sich gefragt, welche Teile des Gehirns wohl verletzt worden waren und was der Hirnschaden bei ihr bewirken würde. Ein scheußliches Gefühl, beinahe noch schlimmer als nackte Todesangst!
    „Manchmal habe ich das Gefühl, wir tun in dieser Schule den ganzen Tag lang nichts anderes als zu kommunizieren“, sagte sie nach einer Weile. „Wir sind ständig mit Sprechen oder Zuhören beschäftigt. Und doch reden wir nicht wirklich miteinander. Wir wissen nichts voneinander.“
    „Dein Eis zerläuft“, kam der nüchterne Hinweis von Isabel.
    Melanie griff irritiert zum Löffel. Wollte die bleiche Frau das Thema wechseln?
    Die beiden Frauen aßen schweigend auf. Dann nahm Isabel unerwartet den Faden wieder auf, den Melanie gesponnen hatte. „Dass wir nichts voneinander wissen“, sagte sie leise, „liegt daran, dass wir keine Surfschule sind, sondern eine Universität für Okkultes. Okkult bedeutet ‚verborgen’, wie du weißt, und das Verborgene steht bei uns nicht nur auf dem Lehrplan. Es ist auch unser Schicksal.“
    „Man kann sich auch mit Geheimwissenschaften beschäftigen, ohne selbst ein Geheimnis zu haben“, behauptete Melanie. „Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.“
    Isabel kniff die Augen zusammen. „Klar. Man kann auch einen Surfkurs machen, ohne die Sonne und das Wasser zu lieben“, erwiderte sie. „Theoretisch. Aber tut man es wirklich?“
    „Isabel, wäre es sehr persönlich, wenn ich dich fragen würde, warum du ein ... Gruftie bist?“
    Die Schwarzhaarige lächelte schwach. „Es wäre sehr persönlich, ja.“
    „Würdest du es mir trotzdem verraten?“ Melanie versenkte sich in ihren Blick, um ihr zu zeigen, dass sie die Frage nicht leichtfertig stellte. Sie gab nicht so schnell auf.
    Isabel dachte nach. „Ich glaube nicht. Es ist ein Geheimnis. Und du würdest mir nicht glauben.“
    „Woher willst du das wissen? Ich glaube an Schutzengel, du nicht.“
    „Was mir geschehen ist, hat mit Schutzengeln nichts zu tun.“
    „Du machst mich neugierig.“
    Jetzt lächelte Isabel ein wenig. „Nein, du bist schon neugierig. Neugier ist dein Zweitname“
    „Okay, durchschaut.“ Melanie hob die Schultern und zog eine Grimasse. Es machte Spaß, Isabel lachen zu sehen. Sie konnte es jetzt wagen, einen Schritt weiter zu gehen, sie ebenfalls zu necken. „Und ich wette, dein Zweitname ist ... nein, nicht Geheimnis , sondern ...“
    Künstlerpause.
    „... ein Geheimnis.“
    Zum ersten Mal hörte sie Isabel lauthals lachen. Sie hielt sich an den Lehnen ihres Stuhles fest, bog ihren Körper nach hinten und lachte ein erfrischendes, ansteckendes
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