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Falkengrund Nr. 31

Falkengrund Nr. 31

Titel: Falkengrund Nr. 31
Autoren: Martin Clauß
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Zungen aus Finsternis, und obwohl er gutes Schuhwerk mit dicken Sohlen trug, spürte er ein Brennen an der Fußsohle. Er begann zu schreien und ruderte mit den Armen, als müsse er durch die Luft paddeln wie durchs Wasser.
    Als er den Wagen erreichte, saß Sir Darren bereits am Steuer, hatte den Motor gestartet und ihm die Tür geöffnet. Noch beim Einsteigen warf Werner einen letzten Blick auf das Schloss. In einem der mittleren Fenster war deutlich eine männliche Gestalt zu sehen, die finster und konzentriert auf die Fliehenden herabsah. Trotz der Entfernung waren die braunen Augen deutlich zu erkennen. Werner wusste, dass er diesen Blick nie vergessen würde.
    Er hatte einem Menschen in die Augen gesehen, der sich vor 87 Jahren das Leben genommen hatte und doch nicht sterben konnte.
    Dieser eine Blick veränderte ihn. Pflanzte eine Angst in seine Seele, die er niemals würde abschütteln können. Doch mit der Angst kam noch etwas anderes.
    Ein Staunen.
    Ein Staunen über die Welt. Das Staunen eines Kindes. Da war es wieder, dieses Gefühl, das er seit vielen Jahren nicht mehr empfunden hatte.
    Der Geist des Barons von Adlerbrunn hatte es ihm geschenkt. Der Geist eines dutzendfachen Mörders.

7
    Kurz vor dem Ortseingang fuhr Sir Darren den Wagen rechts heran und stellte den Motor ab. „Wir müssen reden“, sagte er. „Was wissen Sie über die Zeit nach dem Massaker?“
    Werner starrte aus dem Seitenfenster, obwohl hinter der Scheibe nichts als Gras und Sträucher zu sehen waren. „Ich … bin noch nicht ganz bei mir.“
    Sir Darren war kein Mann, der darauf Rücksicht nahm. „Diese Schule des Okkulten, von der Sie sprachen – wann genau wurde die gegründet?“
    Werner konzentrierte sich auf die Daten, die er herausgefunden hatte. Es half ihm dabei, den Schrecken abzuschütteln. „Das muss 1897 gewesen sein, sechs Jahre danach. Ralf von Adlerbrunn verkaufte das Schloss über einen Makler an einen gewissen Samuel Rosenberg, doch der scheint wenig mehr gewesen zu sein als der Geldgeber. Die Idee, eine Schule des Übernatürlichen zu gründen, hatte ein Mann namens Konrad Winkheim.“
    „Nie gehört“, warf Sir Darren abfällig ein.
    „Er war Illusionist.“
    Der Brite schüttelte den Kopf. Die Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Ein Varieté-Zauberer!“
    „Immerhin scheint sein Interesse für das Okkulte echt gewesen zu sein. Mit ihm und Samuel zog eine Französin namens Charmaine Morice ein, vermutlich seine … Lebensgefährtin. Später kamen zwei Schüler dazu. Sie hießen …“
    „ Zwei Schüler! Vermutlich waren sie Zirkusclowns.“
    Werner ließ sich nicht beirren. „Sie hießen Erwin Ölmüllers und Edeltraud Zeiss, beides junge Leute. Edeltraud war wohl um die siebzehn Jahre alt. Sie blieb nur kurz. Man erzählt sich, der Geist des Barons hätte sie vertrieben – irgendetwas mit sterbenden Tieren und schwarzen Käfern. Sie stattete im Jahr 1900 Falkengrund einen erneuten Besuch ab. Etwas Schreckliches muss an diesem Tag vorgefallen sein, denn Menschen aus dem Dorf fanden alle fünf Personen halbtot vor. Das Ereignis ist in mehreren Chroniken verzeichnet. Konrad starb wenige Wochen später, und auch Erwin wurde nicht alt.“
    Sir Darren wandte sich um, griff zwischen den Sitzen durch und nahm Dr. Ronald Schlichters Notizbuch vom Rücksitz. „Geben Sie mir meinen Füller aus dem Handschuhfach“, befahl er. Als Werner gehorchte, suchte der Brite die letzte von Schlichter beschriebene Seite ( Die Chrysalis dehnt sich. Da will etwas heraus. ), blätterte einmal um und schrieb aus dem Kopf folgendes nieder:
    Konrad Winkheim
    Erwin Ölmüllers
    Samuel Rosenberg
    Charmaine Morice
    Edeltraud Zeiss
    „Sind die Namen korrekt buchstabiert?“, wollte er wissen.
    „Ich glaube schon“, entgegnete Werner. „Was haben Sie vor?“
    „Ein wenig recherchieren“, sagte Sir Darren und ließ den Motor wieder an. „Wundern Sie sich nicht, wenn Sie eine Weile nichts von mir hören.“

8
    Nur einen Tag dauerte die Funkstille, dann erhielt Werner einen Anruf von Sir Darren. „Haben Sie heute Nachmittag schon etwas vor?“
    „Eigentlich nicht. Ich …“
    „Wenn Sie wollen, treffen wir uns um 15 Uhr in Rottweil, Sternstraße 8.“
    „Was ist denn da?“
    „Eine Antwort“, erwiderte der Brite. „Irgendeine Antwort. Ganz bestimmt.“
    Klick.
    „Dieser Spinner“, lachte Werner. Den ganzen Mittag über vermochte er seinen Blick kaum von der Uhr zu lösen, und er fand sich eine
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