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Falkengrund Nr. 31

Falkengrund Nr. 31

Titel: Falkengrund Nr. 31
Autoren: Martin Clauß
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um. Hörte Lorenz ihm zu? „Mit vierzehn Jahren entdeckte der Junge seine Begeisterung für die Jagd und veränderte sich. Als er mit neunzehn seine erste Frau Sophia Schalzbach ehelichte, war er ein stattlicher junger Mann und, da sein Vater kränkelte, bereits das heimliche Oberhaupt der Familie.“
    „Er hat seine Frau und seine Kinder ausgelöscht, wie ich hörte“, warf Sir Darren ein und bewies, dass ihm das Thema Falkengrund tatsächlich nicht vollkommen neu war.
    „Seine Söhne Wolfgang und Roland wurden 1868 bzw. 1874 geboren. Seine Frau Sophie hatte eine schwache Konstitution und erlitt zahlreiche Fehlgeburten. Ein halbes Jahr nach Rolands Geburt verstarb sie. Um der Erinnerung an ihren Tod zu entgehen, zog Lorenz nach Falkengrund um. Bis dahin war das Gebäude nur gelegentlich als Jagdschloss genutzt worden, nun aber lebte er hauptsächlich hier. Ich gehe davon aus, dass er heftig und lange trauerte, denn erst zwölf Jahre nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete er wieder und zwar die jüngste Schwester seiner verstorbenen Frau: Katharina.“
    „Die durch seine Hand starb.“
    Werner nickte mit finsterem Gesicht. „Das war im Jahr 1891. Eifersucht war im Spiel. Lorenz glaubte, seine Frau hätte ein Verhältnis mit einem Kunstmaler namens Eugen von Degenhard. Seine Eifersucht wurde von seinen Söhnen Wolfgang und Roland angestachelt, die um ihr Erbe fürchteten. Intrigen und Missverständnisse bildeten ein unentwirrbares Durcheinander, bis alles in einem schrecklichen Fiasko kulminierte: Mit einer ausgeklügelten Konstruktion strangulierte er Katharina, seine Söhne und fast zwei Dutzend Gäste in der Eingangshalle. Er benutzte ein Gespann von vier Pferden, um seine Opfer, die Hundehalsbänder trugen, an die Decke zu ziehen. Danach tötete er sich selbst mit einem Küchenmesser.“
    „Wozu trugen diese Narren Hundehalsbänder?“
    Werner räusperte sich. „Es scheint eine sexuelle Ebene gegeben zu haben. Die Erhängten hatten sich vermutlich selbst entkleidet. Auf Schloss Falkengrund scheinen regelmäßig wilde Ausschweifungen stattgefunden zu haben. Ob der Baron und seine Frau persönlich daran teilnahmen, ist unklar. Ich nehme an, in Adelskreisen sind solche Dinge keine Seltenheit.“
    Sir Darren blitzte ihn scharf an. Offenbar fühlte er sich angegriffen. „Well, mich würde viel mehr interessieren, warum Lorenz sich selbst umbrachte.“
    „Aus Angst vor seiner Strafe?“, schlug Werner spontan vor. Er hatte über diesen Punkt nicht weiter nachgedacht.
    „Oder weil er im Moment des Grauens herausfand, dass er einen Fehler gemacht hatte.“
    Werner wunderte sich. „Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?“
    „Ein mehrfacher Mörder macht noch keinen Spuk, Herr Hotten. Und auch Gespenster existieren normalerweise nicht ewig. Eine Seele, die über neunzig Jahre hinweg solche Macht ausübt, ist voll von ungelösten Problemen, voll von ungestilltem Hass, unerfüllter Reue. Denken Sie an die Sache mit ihrer Nichte: Die aufgestaute Trauer und Frustration bei ihr und ihrer Freundin – wie waren noch gleich ihre Namen?“
    „Sonja und Miriam.“
    „Ja, so hießen sie. Ihre Frustrationen waren so stark, dass sie ein Stofftier und eine hölzerne Christus-Statue telekinetisch in Bewegung zu setzen vermochten. Stellen Sie sich diesen Lorenz als ein ähnliches Bündel aus Enttäuschung, Zorn und Hass vor, nur dass seine Macht mindestens zehnmal so stark ist.“
    „Und dass er tötet – im Gegensatz zu Sonja und Miriam.“ Diese Ergänzung war Werner wichtig.
    Sie waren langsam um das Gebäude herumgegangen und hatten die Eingangstür erreicht. Eine Spannung lag in der Luft, aber ob sie wirklich von außen kam oder doch aus seinem eigenen Inneren, vermochte Werner nicht zu entscheiden. Das Portal war verschlossen. Werner ging darauf zu und wollte die Klinke drücken.
    „Halt!“
    Werner zog die Hand zurück. „Ich wollte nicht hineingehen“, sagte er leise. „Ich wollte nur die Tür einen Spalt weit …“
    „Haben Sie Schlichters Aufschriebe schon vergessen? Wenn Sie sterben wollen, lassen sich gewiss weniger dramatische Wege finden. Außerdem hege ich keine Ambitionen, meinem irdischen Dasein heute schon ein Ende zu setzen.“
    Werner lachte nervös. Er hatte sich eingebildet, die Informationen über den Spuk ernst zu nehmen. Insgeheim hatte er es sich so vorgestellt: Sie würden ins Haus stiefeln, einen Nebelhauch sehen und sich wieder zurückziehen, ehe er ihnen bedrohlich nahe kommen
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