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Falken: Roman (German Edition)

Falken: Roman (German Edition)

Titel: Falken: Roman (German Edition)
Autoren: Hilary Mantel
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Königin. Der Henker überquert das Schafott und hebt den abgetrennten Kopf in die Höhe. In einen Meter Leinen wickelt er ihn, wie ein Neugeborenes, und wartet, dass ihn jemand von der Last befreit. Die Frauen heben die triefenden Überbleibsel der Königin in die Truhe. Eine tritt vor, nimmt den Kopf und legt ihn, allein dort ist genug Platz, neben die Füße der Königin. Dann richten sie sich auf, alle von ihrem Blut durchnässt, gehen steif davon und schließen die Reihen wie Soldaten.
    An diesem Abend ist er in Austin Friars. Er hat Briefe nach Frankreich geschrieben, an Gardiner. Gardiner im Ausland: ein sich duckendes Tier, das an seinen Klauen nagt und auf den richtigen Moment wartet, um anzugreifen. Es war ein Triumph, ihn fernzuhalten. Er fragt sich, wie lange es ihm noch gelingt.
    Er wünschte, Rafe wäre hier, aber entweder ist er beim König oder zurück bei Helen in Stepney. Er ist es gewohnt, Rafe so gut wie täglich zu sehen, und kann sich an die neue Ordnung der Dinge nicht gewöhnen. Er wartet ständig darauf, seine Stimme zu hören, ihn, Richard und Gregory, wenn der zu Hause ist, zu hören, wie sie sich balgen und gegenseitig die Treppe hinunterzustoßen versuchen, einander hinter Türen versteckt auflauern und all die Späße machen, die Männer von fünfundzwanzig oder dreißig machen, wenn sie denken, es ist kein gesetzter Älterer in der Nähe. Anstelle von Rafe ist Mr   Wriothesley bei ihm und läuft unruhig auf und ab. Nennt-Mich scheint zu denken, jemand sollte einen Bericht des Tages geben, wie für einen Chronisten, und wenn nicht das, sollte er wenigstens seine Empfindungen schildern. »Ich habe das Gefühl, Sir, ich stehe auf einer Landzunge, hinter mir das Meer und vor mir eine brennende Ebene.«
    »Tatsächlich, Nennt-Mich? Dann kommen Sie aus dem Wind«, sagt er, »und trinken Sie einen Becher von dem Wein, den Lord Lisle mir aus Frankreich schickt. Ich hebe ihn gewöhnlich für mich selbst auf.«
    Nennt-Mich nimmt das Glas. »Ich rieche brennende Häuser«, sagt er. »Gefallene Türme. Da ist nichts mehr als Asche. Ein Strand voller Wrackteile.«
    »Aber es sind brauchbare Wrackteile, oder? Aus Wrackteilen kann man alles Mögliche machen: Wer in der Nähe des Meeres lebt, kann Ihnen das sagen.«
    »Eines haben Sie noch nicht richtig beantwortet«, sagt Wriothesley. »Warum haben Sie Wyatt nicht vor Gericht gebracht? Doch nicht nur, weil er Ihr Freund ist?«
    »Ich sehe, dass Ihnen Freunde nicht so wichtig sind.« Er beobachtet, wie Wriothesley das aufnimmt.
    »Wie auch immer«, sagt Nennt-Mich, »ich denke, Wyatt bedeutet keine Bedrohung für Sie, und er hat Sie auch nicht beleidigt oder herabgewürdigt. William Brereton war überheblich, hat alle Welt beleidigt und war Ihnen im Weg. Harry Norris, der junge Weston, nun, die hinterlassen Lücken in den Gemächern des Königs, die Sie mit Ihren Freunden füllen können, zusätzlich zu Rafe. Was Mark, diesen erbärmlichen Kerl mit seiner Laute, betrifft, gebe ich zu, ohne ihn sieht’s ordentlicher aus. Und dass George Rochford ausgeschaltet ist, lässt den Rest der Boleyns davonlaufen. Monseigneur wird zurück aufs Land müssen und leisere Töne anschlagen. Den Kaiser wird im Übrigen freuen, was heute geschehen ist. Schade, dass das Fieber den Botschafter ferngehalten hat. Er wäre sicher gern dabei gewesen.«
    Nein, wäre er nicht, denkt er, Chapuys ist zartbesaitet. Aber du hättest von deinem Krankenbett aufstehen und dir ansehen sollen, was du dir so sehr herbeigewünscht hast.
    »Jetzt werden wir Frieden haben in England«, sagt Wriothesley.
    Ein Ausdruck geht ihm durch den Kopf – ist er von Thomas More? »Der Frieden im Hühnerstall, wenn der Fuchs nach Hause gelaufen ist.« Er sieht die herumliegenden Kadaver, einige von ihnen mit einem einzigen Biss getötet, der Rest zerrissen und zerfetzt, weil der Fuchs in Panik geraten ist, als die Hennen um ihn herumflatterten. Wild um sich geschnappt hat er und ihnen den Tod gebracht: Jetzt müssen die Überbleibsel weggespült werden, der Mulch von scharlachroten Federn auf Boden und Wänden.
    »Die Schauspieler sind nicht mehr«, sagt Wriothesley. »Die vier, die den Kardinal zur Hölle getragen haben – und der arme Narr Mark, der eine Ballade über ihre Großtaten geschrieben hat.«
    »Alle vier«, sagt er. »Alle fünf.«
    »Ein Gentleman fragte mich: Wenn es das ist, was Cromwell mit den kleineren Feinden des Kardinals macht, was wird er dann nach und nach mit dem König
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